Neue Barrieren auf Gehwegen

Neue Barrieren auf Gehwegen

Wenn man blind oder stark sehbehindert ist, wirkt sich das massiv auf die Orientierung und eigenständige Mobilität aus. „Es gibt doch Blindenstöcke und Blindenführhunde“, denken Sie vielleicht. Um sich jedoch mit diesen Hilfsmitteln eigenständig und gefahrlos fortbewegen zu können, ist zusätzlich eine barrierefreie Gestaltung der Umwelt erforderlich. Dafür setzt sich der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) ein.

„Barrierefrei“ kann man für den Verkehrsbereich so definieren, dass Straßen, Plätze, Wege und Verkehrsmittel für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Gesetzlich ist das im Behindertengleichstellungsrecht des Bundes und der Länder sowie in weiteren Fachgesetzen und technischen Normen näher ausgestaltet.

Wenngleich der Weg zu einer zugänglichen und damit inklusiven Verkehrsgestaltung für alle Menschen noch weit ist, hat sich doch in den letzten Jahren einiges getan. Beispielsweise verfügen inzwischen viele Ampeln über akustische Signale. Zunehmend werden auch taktil und optisch gut erkennbare Bodenleitsysteme verlegt, etwa an Querungsstellen von Straßen oder zum Anzeigen einer Treppe.

E-Scooter als Barrieren

Seit 2019 sind jedoch in größeren Städten neue Barrieren hinzugekommen. Kreuz und quer abgestellte und umgestürzte E-Roller behindern die sichere und eigenständige Fortbewegung blinder und sehbehinderter Menschen. E-Roller sind aufgrund ihrer Bauweise schwer mit dem Blindenlangstock zu ertasten. Weil sie in den meisten Städten an jeder beliebigen Stelle des Gehwegs einfach abgestellt werden können („Free-Floating-Modell“), tauchen sie für Menschen mit Seheinschränkung immer wieder unvermittelt und unberechenbar auf und werden dadurch zu einer Stolpergefahr. In der Folge kam es auch schon zu zahlreichen Unfällen. Diese sind aufgrund der bisher fehlenden Gefährdungshaftung der Halter oft nur schwer regulierbar. Übrigens sind auch Menschen, die Rollstühle oder Rollatoren nutzen, gefährdet, wenn sie herumliegenden E-Rollern ausweichen müssen und dadurch auf die Fahrbahn geraten.

Stand der Rechtsprechung

Mit Blick auf den aktuellen Stand der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist bei der massenhaften stationslosen Vermietung von E-Rollern von einer Sondernutzung auszugehen. Leider werden in den bisher erteilten Sondernutzungserlaubnissen die Belange von Menschen mit Behinderungen nur unzureichend oder gar nicht berücksichtigt. Sie verstoßen damit gegen geltendes Recht zum Schutz vor Benachteiligungen.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass bei dem gewerbsmäßigen Anbieten von E-Rollern ein Abstellen auf dem Gehweg rechtlich unzulässig sein dürfte. Nach § 11 Abs. 5 Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) sollen E-Roller wie Fahrräder behandelt werden. Das „Abstellen“ der stationslos vermieteten E-Roller entsprechend den „Parkvorschriften für Fahrräder“ auf Gehwegen kann jedoch nach der Entstehungsgeschichte der eKFV nur für privat genutzte Fahrzeuge gelten. Der Wortlaut, die systematische Stellung der Norm und deren Schutzbereich erfassen nicht die momentane Situation: Zigtausende von stations- und damit völlig „beziehungslosen“ Mietfahrzeugen auf Gehwegen. Die Verweisung in § 11 Abs. 5 eKFV dürfte allenfalls gemäß § 17 Abs. 4 Satz 4 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) das Abstellen auf Fahrbahnen rechtfertigen.

Beteiligung von Betroffenen wird oftmals vergessen

Vergessen wird von den Städten häufig auch, dass Menschen mit Behinderungen bei der Aushandlung von Sondernutzungserlaubnissen und deren Auflagen zu beteiligen sind, damit ihre Belange berücksichtigt werden können. Barrierefreiheit als Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen wird in dem 2009 in Kraft getretenen Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) besonders betont. Dies ist bei der gebotenen Rechtsauslegung rechtlicher Regelungen zur Regulierung der Mikromobilität zu beachten. Da technische Lösungen bislang nicht erfolgversprechend sind, ist es aus Sicht des DBSV unabdingbar, das „Abstellen“ der Leih-E-Roller ausschließlich auf ausgewiesenen und abgegrenzten Abstellflächen zu erlauben und diese Regelung auch durchzusetzen. Die Abstellflächen müssen kontrastreich markiert und mit einem Blindenstock ertastbar sein.

Der DBSV nutzt inzwischen in mehreren Städten das Mittel der Verbandsklage, um die Herstellung bzw. Wiederherstellung der Barrierefreiheit auf Gehwegen gerichtlich einzufordern. Der Verband hat dafür eine Crowdfunding-Kampagne gestartet.

Dieser Gastbeitrag von Christiane Möller, stellvertretende Geschäftsführerin und Justiziarin beim Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV), erschien zuerst im DVR Report (1/2023).