Vermeidung von Wildunfällen

Beschluss vom 28.10.2020 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Verkehrstechnik

Beschluss

  • Wildunfälle müssen reduziert werden, um Menschen und auch Tiere zu schützen. Bund und Länder sollen sich daher deutlich zur Bekämpfung von Wildunfällen bekennen. Dazu ist das Thema auch zukünftig in die Verkehrssicherheitsprogramme des Bundes und der Länder aufzunehmen.
  • Der Bund und die Länder werden aufgefordert, eine bundesweit einheitliche und standortgenaue Erfassung von Wildunfällen mit und ohne Personenschaden zu etablieren, um Wildunfallhäufungen definieren, identifizieren und gezielte angepasste Maßnahmen umsetzen zu können. Die Jägerschaft bietet an, bei der einheitlichen Erfassung von Wildunfällen bundesweit mitzuwirken, u.a. mit einer kostenlosen App (siehe: www.tierfund-kataster.de).
  • Die zuständigen Behörden sollen gemeinsam mit Naturschutzverbänden, Jägerschaft und Wildtierforschungseinrichtungen Wanderachsen und Korridore von Wildtieren definieren. Die Straßenbaulastträger sollen entlang dieser Achsen die Erforderlichkeit für sichere Wildquerungen prüfen. Programme des Bundes und der Länder zur Wiedervernetzung sollten fortgeschrieben oder erstellt werden.
  • Wildschutzzäune in Verbindung mit planfreien Querungen (Wildbrücken, -unterführungen) eignen sich insbesondere zur Verbesserung der Sicherheit an ausgeprägten Wildunfallhäufungen oder zur Wiedervernetzung.
  • Alle bislang angewendeten optischen, akustischen oder olfaktorischen Maßnahmen, die das Verhalten des Wildes beeinflussen sollen, entfalten die gewünschte Wirkung nicht zuverlässig. Daher sind andere Maßnahmen zur effektiven Vermeidung von Wildunfällen erforderlich.
  • Solange die Untersuchungen zur Wirkung von optischen Wildwarnreflektoren auf das Fahrverhalten (Wirkpfad) nicht abgeschlossen sind, soll deren Anbringung an Leitpfosten (Verkehrszeichen 620) nicht weiter erfolgen.
  • Gefahrzeichen mahnen zu erhöhter Aufmerksamkeit, insbesondere zur Verringerung der Geschwindigkeit im Hinblick auf eine Gefahrsituation (§ 40 StVO). Die Straßenverkehrsbehörden werden daher aufgefordert, in Straßenabschnitten mit sehr hohem Wildunfallrisiko Zeichen 142 (Wildwechsel) zwingend mit Zusatzzeichen Streckenlänge bis max. 1000 m anzuordnen und diese Anordnung regelmäßig auf noch bestehende Notwendigkeit zu überprüfen.
  • Land- und Forstwirtschaft sowie Straßenbaulastträger werden aufgefordert, Straßenseitenräume frei von sichtbehinderndem Bewuchs zu halten, um den Verkehrsteilnehmenden gute Sicht auf Wildtiere neben der Straße zu ermöglichen und die Detektion von Tieren durch technische Systeme zu erleichtern.
  • Auf Wild weniger attraktiv wirkende Saatmischungen sollen bei der Straßenseitenraumgestaltung breitere Anwendung finden. Ebenso sollten für Wild attraktive Büsche wie Hartriegel, Obstbäume oder fruchttragende Baumarten wie Eiche oder Rosskastanie nicht mehr an Straßenrändern gepflanzt werden.
  • Die Jägerschaft, Bund, Länder und Kommunen sind dazu aufgefordert, gemeinsam zu überprüfen, ob durch eine gezielte Reduktion der Wilddichte und/oder des Verkehrsaufkommens entlang von Straßenabschnitten mit hohem Wildunfallgeschehen die Wildunfälle reduziert werden können.
  • Bund und Fahrzeughersteller werden aufgefordert, sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Entwicklung und Verbreitung fahrzeugseitiger Wildwarnsysteme einzusetzen. Auch die Verbreitung weiterer Sicherheitssysteme (z.B. Notbremssysteme, Lichttechnik) kann zur Vermeidung von Wildunfällen beitragen.
  • Hersteller von Straßenausstattungen sollten eine preiswerte straßenseitige Sensortechnik entwickeln, die zuverlässig vor konkreten Gefahren durch Wild im Seitenraum warnt.
  • Diese müssen die Wirksamkeit ihrer Produkte vor Markteinführung nachweisen. Dazu sollten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) oder das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) nach Abschluss des Forschungsschwerpunkts „Wildunfallprävention“ einheitliche Rahmenvorgaben für die Hersteller erarbeitet werden. Die Straßenbaulastträger werden gebeten, die Erprobung neuer Technologien und Produkte im Rahmen von Modellversuchen zu unterstützen.
  • Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) wird gebeten, ein Hinweispapier zur Vermeidung von Wildunfällen zu erstellen. Inhaltlich sollte hier das gesamte Thema auf vielen Ebenen aufbereitet und ein Werkzeugkasten mit unterschiedlichen Maßnahmen daraus entwickelt und dargestellt werden. Dabei sind die Ergebnisse aus dem Forschungsschwerpunkt „Wildunfallprävention“ zu berücksichtigen.
  • Alle Akteure werden zur Durchführung von spezifischen Kampagnen und Aktionen aufgerufen, z.B. um die am Verkehr Teilnehmenden daran zu erinnern, dass das Gefahrzeichen 142 eine real drohende Gefahr aufzeigt und nicht ignoriert werden darf.

Erläuterungen

Im Jahr 2018 wurden den Teil- und Vollkaskoversicherern rund 268.000 Wildunfälle gemeldet. Der Schadenaufwand belief sich dabei auf rund 757 Mio. Euro. Laut Statistischem Bundesamt kam es insgesamt in 2018 auch zu 2.401 Unfällen mit Personenschaden. Dabei wurden 15 Menschen getötet, 537 schwer und 2.187 leicht verletzt. Laut Statistik des Deutschen Jagdverbandes (DJV) ereigneten sich in der Zeit vom 1. April 2018 bis 31. März 2019 209.080 Unfälle mit Rehen, 24.470 mit Schwarzwild, 4.330 mit Damwild und 3.410 Unfälle mit Rotwild. Wildunfälle werden bundesweit nicht einheitlich erfasst und dokumentiert. Daher besteht eine Wissenslücke insbesondere über die Verortung der Wildunfälle.

Seit vielen Jahren werden unterschiedliche Maßnahmen durchgeführt. Im Wesentlichen wird dabei unterschieden, ob physische Barrieren aufgebaut werden, damit Tiere nicht auf die Fahrbahn gelangen, die Verkehrsteilnehmenden vor Wild gewarnt werden oder das Wild vor dem Verkehr gewarnt wird.

Auch wenn Wildunfälle im gesamten Straßennetz vorkommen, so gibt es doch stabile Wanderachsen und Wildkorridore, auf denen sich die Tiere bewegen. Entlang dieser Achsen eignen sich insbesondere punktuelle Maßnahmen, sichere Querungsmöglichkeiten zu schaffen. Dazu eignen sich Wildschutzzäune entlang der Straßen, die die Tiere z.B. zu einer Wildbrücke oder einer Unterführung führen. Auch eine ebenerdige Querungsstelle ist denkbar, wenn hier eine mit Sensoren bestückte Wildwarnanlage die Verkehrsteilnehmenden vor Wild im Seitenraum warnt. Das Bundesprogramm Wiedervernetzung bietet gemeinsam mit dem Merkblatt zur Anlage von Querungshilfen (MAQ, FGSV 2018) dazu die entsprechenden Hinweise. Zu ebenerdigen Querungsstellen sind noch weitere Forschungen erforderlich.

Warnungen, die sich an die Verkehrsteilnehmenden richten, haben dann Erfolg, wenn sie vor einer konkreten und nachvollziehbaren Gefahr warnen. Das Aufstellen von statischen Verkehrszeichen, die auf eine abstrakte Gefahr hinweisen, ist dagegen meist unwirksam. Physische Barrieren haben zwar eine gute Schutzwirkung, stellen jedoch auch problematische Zerschneidungen von Biotopen dar und können damit die genetische Diversität von Arten und die Artenvielfalt beeinträchtigen. Zudem sind sie meist mit hohen Herstellungs- und Unterhaltungskosten verbunden.

Daher ist es nachvollziehbar, dass versucht wird, Wildunfälle flächenhaft durch relativ preiswerte Maßnahmen wie Reflektoren o.ä. zu reduzieren. Auch wenn die Verantwortlichen vor Ort immer wieder von einer positiven Wirkung berichten, muss dieser Versuch als gescheitert angesehen werden. Mehrere aktuelle Studien der BASt, der Forstwirtschaftlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) und der Unfallforschung der Versicherer (UDV) haben klar gezeigt, dass Wildwarnreflektoren rein physikalisch die Tiere nicht zuverlässig beeinflussen können, keinerlei Einfluss auf das Verhalten des Wildes haben und auch keine statistisch nachweisbaren Auswirkungen auf das Wildunfallgeschehen nachweisbar sind. Lokale Positiventwicklungen sind bisher nicht eindeutig einer definierten Ursache zuzuordnen. Der Einsatz von Wildwarnreflektoren sollte daher zunächst nicht weiter forciert werden, bis z.B. mögliche Wirkungen auf die Verkehrsteilnehmenden untersucht wurden. Vielversprechender sind Maßnahmen, die sich an den Fahrenden richten und zu erhöhter Aufmerksamkeit und der Anpassung der Geschwindigkeit beitragen. Dazu könnten sich neben den dynamischen Wildwarnanlagen auch fahrzeugseitige Warnsysteme oder straßenseitige Wilddetektion eignen.

Die umfassende Kooperation aller Zuständigen ist erforderlich, um Wildunfälle zu reduzieren und Wildkorridore zu schaffen bzw. zu erhalten. Dazu gehören Land- und Forstwirtschaft, Jäger, Naturschutz, Gemeinden, Raumplanung, Straßenbau, Verkehrsträger, Verkehrsteilnehmende und Automobilindustrie. Ein umfangreiches Management umfasst dabei die Geschwindigkeitsreduktion, die Anlage von Querungshilfen, die Verkehrsreduktion, übersichtliche Gestaltung der Straßenseitenräume, Lebensraumverbesserung und die Lenkung und Reduktion der Wilddichte. Dazu gehören auch Präventionsmaßnahmen wie Wildschutzzäune, die Einlassung von Gitterrosten, die aktive Warnung vor Wild mittels ereignisgesteuerten Wildwarnanlagen, der Einsatz von Großplakaten (zeitlich befristet) und die Reduktion der Attraktivität des Straßenrandes für Wildtiere.

 

gez.
Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident