Überwachung gefährlicher Verkehrsverstöße

Vorstandsbeschluss vom 09.10.2023 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Verkehrstechnik und des Vorstandsausschusses Erwachsene

Einleitung

In der vergangenen Zeit wurden bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten im Straßenverkehr zu reduzieren. In Verfolgung der Sicherheitsstrategie Vision Zero sind weitere Aktivitäten zwingend notwendig. Die Bekämpfung der Hauptunfallursachen bei Verkehrsunfällen mit schwerem Personenschaden erfordert dabei eine Fokussierung auf Geschwindigkeits- und Abstandsverstöße, mangelnde Fahrtüchtigkeit insbesondere durch Alkohol und Drogen, Ablenkung durch elektronische Geräte sowie Vorfahrts-/Vorrangverletzungen einschließlich der Rotlichtmissachtung.

Die Steigerung der Akzeptanz und der Einhaltung von Verkehrsregeln sind dabei wesentliche Aufgaben der Verkehrssicherheitsarbeit. Anordnung von Verkehrsregelungen und deren Überwachung sollten weitgehend für die Verkehrsteilnehmenden nachvollziehbar bzw. objektiv begründbar sein. Zur Reduzierung der schweren Personenschäden weist der DVR gemäß der Sicherheitsstrategie „Vision Zero“ bereits seit 2014 auf die Notwendigkeit einer Intensivierung der zielgruppen- und deliktorientierten Verkehrsüberwachung hin.1

Maßgeblichen Einfluss auf das Verkehrsverhalten haben sowohl die Sanktionshöhe als auch die Entdeckungs- und Sanktionswahrscheinlichkeit. Ein hoher Kontrolldruck ist ebenso erforderlich wie eine den Gefährdungen angepasste Sanktionshöhe.

Empfehlungen/ Forderungen

  1. Die Einhaltung von Verkehrsregeln muss flächendeckend durch regelmäßige und sichtbare Überwachung verbessert und für die einzelnen Verkehrsteilnehmenden nicht kalkulierbar gestaltet werden. Polizei und Kommunen müssen bei der Einsatzplanung berücksichtigen, welchen Stellenwert die Maßnahme in Bezug auf die Verkehrssicherheit einnimmt. Dies trägt zur Erhöhung der Akzeptanz bei.
  2. Die Sanktionierung von gefährlichen Verkehrsverstößen ist dem jeweiligen Gefährdungspotenzial anzupassen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, gemeinsam mit den Ländern eine umfassende Reform des Sanktionensystems zu erarbeiten. Dabei ist im Interesse einer vereinfachten Bearbeitung eine Anhebung der Verwarnungsgeldobergrenze anzustreben.2
  3. Für eine verbesserte Entdeckung und Ahndung von Verkehrsverstößen sind die Bundesländer aufgefordert, mehr und für diesen Bereich fachlich ausgebildetes Personal bei Polizeien, Bußgeldstellen und in der Justiz bereitzustellen und eine gezielte behördenübergreifende Fortbildung zu organisieren.
  4. Zur Erhöhung der Fallzahlen bei der Fahrerermittlung ist durch den Gesetzgeber die Einführung einer Halterverantwortlichkeit mit Exkulpationsmöglichkeit (z. B. Fahrerbenennung) zu prüfen. Darüber hinaus ist die Einführung einer bußgeldbewehrten Fahrerbenennungspflicht durch den Halter in Betracht zu ziehen, zumindest aber die Verpflichtung des Fahrzeughalters zur Tragung der tatsächlich anfallenden Kosten des Verwaltungsverfahrens auch im fließenden Verkehr (analog § 25a StVG).3 Dadurch kann bei der Verfolgung von Verkehrsverstößen, bei denen die Fahrenden nicht eindeutig identifiziert werden können (v.a. bei Übertretungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit), zumindest in begrenztem Maß auf die Halterinnen und Halter zurückgegriffen werden.
  5. Der DVR fordert die Schaffung einer bundesgesetzlichen oder zumindest einer bundesweit einheitlichen Grundlage für die Verkehrsüberwachung, nicht zuletzt um die Abschnittskontrolle (Section Control) oder andere technische Möglichkeiten einführen zu können sowie die Vereinheitlichung der Richtlinien, Anweisungen und Erlasse zur Verkehrsüberwachung. Die Finanzierung der Infrastruktur zur Verkehrsüberwachung sollte als Bestandteil der Straßenausstattung geregelt/gesichert werden.
  6. Zur Kontrolle der Fahrtüchtigkeit sind anlassbezogen verdachtsunabhängige Alkohol- und Drogenkontrollen einzuführen. Dazu sollte die bisher in § 36 Abs. 5 StVO enthaltene polizeiliche Verkehrskontrollbefugnis im Straßenverkehrsgesetz neu geregelt werden.
  7. Für alle Großstädte wird die Einrichtung polizeilicher Fahrradstaffeln und Fußstreifen empfohlen, welche mit der Ahndung von Verkehrsverstößen durch Radfahrende und von Verkehrsverstößen, die Radfahrende gefährden sowie der zielgruppenspezifischen Aufklärungsarbeit betraut werden sollten.
  8. Die Bundesländer werden aufgefordert, verkehrssicherheitsrelevante Daten (z. B. Verkehrsstärken, Ergebnisse aus Verkehrsüberwachungen wie Geschwindigkeitsüberschreitungen, Unfalldaten aus den Unfalldatenbanken und Straßendaten wie Trassierungen u. ä. aus den Straßendatenbanken) systematisch zusammenzuführen und diese für eine zielgenaue Verkehrsüberwachung zu nutzen und der Forschung zur Verfügung zu stellen.
  9. Die präventive Fahrverhaltensbeeinflussung durch stationäre, digitale und bildhafte Geschwindigkeitsanzeigen, sogenannte Dialogdisplays, vor Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Altenheimen hat sich bewährt. Die kommunalen Verkehrsbehörden sollten diese innerorts ergänzend zur Geschwindigkeitsüberwachung verstärkt einsetzen.

Erläuterungen

Der Beschluss des DVR zur Verkehrsüberwachung aus dem Jahr 20144 beschreibt zutreffend die Notwendigkeit der Verkehrsüberwachung für eine erfolgreiche Verkehrssicherheitsarbeit. Die damals aufgestellten Forderungen werden mit dem vorliegenden Entwurf bestärkt und aktualisiert.

Zu 1.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Befolgung von Verkehrsregeln ist deren Akzeptanz. Erlebt man jedoch laufend, dass Verstöße gegen Verkehrsregeln keine negativen Konsequenzen haben, sinkt die Bereitschaft, sich dem Regelsystem zu unterwerfen. Die allgemeine Geltung von Verkehrsregeln wird nur akzeptiert, wenn deren Einhaltung wirksam überwacht wird und dadurch eine ausreichend hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit bei Verstößen besteht. Dies muss für das gesamte Verkehrssystem gelten und für die Verkehrsteilnehmenden wahrnehmbar sein, weshalb Verkehrsüberwachung flächendeckend, regelmäßig und sichtbar zu organisieren ist. Gleichzeitig sollte Verkehrsüberwachung nicht vollständig kalkulierbar sein, um eine Einhaltung der Verkehrsregeln nicht nur an bekannter Weise überwachten Stellen, sondern überall und in allen Situationen zu befördern.

Zur Überwachung von Geschwindigkeitsverstößen wird eine Kombination von stationären, semistationären und mobilen Kontrollen empfohlen. Unfallhäufungsstellen, bei denen Geschwindigkeitsverstöße als Ursache festgestellt wurden, sind durch stationäre Überwachungsgeräte zumindest so lange kurzfristig zu bekämpfen, bis die Ursache für die nicht angepasste Geschwindigkeit wirksam und nachhaltig beseitigt werden konnte. Semistationäre Überwachungsgeräte haben ihren hohen Wirkungsgrad insbesondere in Baustellenbereichen bewiesen. Linienhaft angeordnete Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen – wie die vorerst nur in Niedersachsen praktizierte Abschnittskontrolle – sind auf unfallauffälligen Strecken von Landstraßen eine besonders wirkungsvolle Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, wenn das Unfallgeschehen nachweislich auf Geschwindigkeitsverstöße zurückzuführen ist.5

Hinsichtlich der Einsatzplanung bzw. Zuweisung personeller Ressourcen ist zu beachten, dass die Gefahr, durch verkehrswidriges Verhalten Schaden an Leib und Leben zu nehmen, sehr konkret ist und bezüglich der Anzahl getöteter und schwerverletzter Menschen einen Spitzenplatz unter den staatlicherseits abzuwehrenden Gefahren einnimmt. Die Verkehrsüberwachung ist eine Kernaufgabe polizeilicher Gefahrenabwehr und folgt aus dem grundgesetzlichen Auftrag, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen.

Zu 2.

Sanktionsschwere und Sanktionswahrscheinlichkeit (Entdeckungswahrscheinlichkeit) sind wesentliche Faktoren für die Befolgung von Verkehrsregeln. Sie sind in ihrer Wirkung insofern verbunden, als eine hohe Strafe keine Abschreckung bewirkt, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung minimal ist. Im Umkehrschluss gilt, dass eine hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit nur bei einer bedeutsamen Sanktion von abschreckender Wirkung ist. Mit zunehmender Erwartung einer Verkehrskontrolle und mit zunehmender Sanktionsschwere tritt ein regelwidriges Verhalten seltener auf.6 Im europäischen Vergleich sind die Sanktionshöhen in Deutschland niedrig und wirken selten abschreckend: Bußgelder werden etwa bei der Wahl der Geschwindigkeit von vielen Verkehrsteilnehmenden bewusst einkalkuliert – unterhalb der Schwelle zu härteren Konsequenzen wie Punkten und Fahrverboten.

Insgesamt folgt die Höhe der Sanktionen keiner für die Verkehrsteilnehmenden erkennbaren Systematik. Während einzelne Verstöße sehr spürbar sanktioniert werden, sind andere trotz eines Gefährdungspotenzials nur mit geringen Verwarnungsgeldern belegt und können dadurch die Funktion einer Pflichtenmahnung nicht entfalten. Um eine stimmige Systematik zu erreichen, sollten alle Verkehrsverstöße aus der Bußgeldkatalog-Verordnung, dem Straßenverkehrsgesetz, dem Strafgesetzbuch und der Fahrerlaubnis-Verordnung hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials bewertet und mit dem Ziel einer wirksamen General- und Spezialprävention in einer auch untereinander verhältnismäßigen Weise mit Sanktionen belegt werden. Dazu ist neben Verwarnungs- und Bußgeldern bei schweren und beharrlichen Verstößen insbesondere von Fahrverboten und Punkten im Fahreignungsregister Gebrauch zu machen, da diese Arten von Sanktionierung weniger leicht „eingepreist“ werden können.

Zusätzlich empfiehlt der DVR, eine Anhebung der Verwarnungsgrenze zu prüfen, um massenhafte Verstöße im vereinfachten Verwarnungsgeldverfahren bearbeiten zu können. Das würde Bußgeldstellen und Justiz entlasten und mehr Ressourcen für die rechtssichere Verfolgung schwerer und wiederholter Verstöße im Bußgeldverfahren freisetzen. Damit schließt sich der DVR dem Prüfauftrag des Bundesrats vom 8.10.2021 an.7

Zu 3.

Der bedeutendste limitierende Faktor für eine Intensivierung der Verkehrsüberwachung und Ahndung ist das Personal. Hier sind neben dem Personal, das die Überwachung durchführt, insbesondere auch Bußgeldstellen und Justiz zu nennen. Eine Einstellung von Verfahren aufgrund von Verfolgungsverjährung aus Personalmangel ist dringend zu verhindern. Für eine rechtssichere Bearbeitung auch bei anwaltlich vorgebrachten Einsprüchen ist ausreichend geschultes Personal und eine reibungslose Zusammenarbeit der beteiligten Behörden erforderlich. Daher sind behördenübergreifende Fortbildungen besonders geeignet, um die wirksame und rechtssichere Ahndung von Verkehrsverstößen zu stärken. Insgesamt ist eine größere Wertschätzung der Verkehrssicherheitsarbeit auch innerhalb der Polizeien anzustreben.

Zu 4.

Verkehrsüberwachung verliert erheblich an Wirkung, wenn festgestellte Verstöße nicht geahndet werden. Normbefolgung ist auch im Verkehrsrecht nur dann zu erwarten, wenn Verstöße mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit sanktioniert werden. Eine Ahndung festgestellter Verstöße ist in Deutschland nur möglich, wenn den Fahrzeugführenden der Verstoß individuell nachgewiesen wird, wobei die Halterin oder der Halter vom Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen kann. Eine teilweise Ausnahme besteht lediglich bei Halt- und Parkverstößen, bei denen im Falle einer Nichtermittlung die Kosten des Verfahrens dem Halter oder der Halterin des Fahrzeugs auferlegt werden können.

Eine zweifelsfreie Identifizierung ist häufig nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand oder gar nicht möglich. Für die Ermittlung der Verantwortlichen wird vielfach hochqualifiziertes Personal unterwertig eingesetzt – es fehlt daher für die unmittelbare Verkehrssicherheitsarbeit.
Die Einführung einer echten Halterhaftung im fließenden Verkehr ist nach herrschender Rechtsauffassung unter Hinweis auf das zu wahrende Schuldprinzip nicht konsensfähig. Eine Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf Verstöße im fließenden Verkehr würde jedoch zumindest in sehr begrenztem Rahmen einen Rückgriff auf den Halter ermöglichen. Dazu müssten jedoch die pauschalierten Kosten bei Nichtermittelbarkeit des Fahrers oder der Fahrerin spürbar angehoben werden, um überhaupt eine Sanktionswirkung zu erzielen. Für die von § 25a StVG umfassten Halt- und Parkverstöße liegt diese aktuell bei 23,50 EUR. Eine Anhebung dieser Pauschale fordert auch der Bundesrat.8

Zu 5.

Bislang besteht weder im Bundesrecht noch in den gefahrenabwehrrechtlichen Bestimmungen der Bundesländer eine Spezialermächtigung für die Verkehrsüberwachung. Einzige Ausnahme ist bislang die spezialgesetzlich normierte Abschnittskontrolle in Niedersachsen.

Die verdachtsunabhängige Datenerfassung ist strittig. Das Verkehrsrecht enthält zwar im § 36 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung eine Spezialregelung für die allgemeine Verkehrskontrolle, die Verfolgung von Verkehrsverstößen richtet sich dann aber nach der Strafprozessordnung (StPO), deren Eingriffsmaßnahmen über §§ 53, 46 Ordnungswidrigkeitengesetz auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren anwendbar sind. Das Erfassen von persönlich zuordenbaren Daten, wie dem Kfz-Kennzeichen oder das Fertigen von Lichtbildern bei Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen stellen einen Eingriff in das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ dar – die hierzu erforderliche Rechtsgrundlage wird in § 100h StPO gesehen.

Eine bundesweit geltende Rechtsgrundlage könnte im Straßenverkehrsgesetz verortet werden und allgemein zum Inhalt haben, dass sämtliche bundesweit geltenden Verkehrsvorschriften von der Landespolizei in Zusammenarbeit mit den kommunalen Polizeibehörden und ggf. auch zusätzlich von der Bundespolizei überwacht werden. Dadurch wäre auch zu vermeiden, dass die Bundesländer eigenständig je nach politischer Couleur und Schwerpunktsetzung entsprechende Rechtsgrundlagen einführen, welche die Einsatzmöglichkeiten der Abschnittskontrolle stark einschränken könnten. Die Abschnittskontrolle ist ein System zur streckenbezogenen Geschwindigkeitsüberwachung, das in einer Vielzahl europäischer Staaten etabliert ist. Zahlreiche Studien zeigen die Wirksamkeit der Überwachungsmethode mit Rückgängen von 60 Prozent bei der Anzahl der Schwerverletzten.9 Tempolimits werden so durchgesetzt und das Unfallgeschehen positiv beeinflusst. Der bereits 2009 aufgestellten Forderung des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstags zur Erprobung dieser Methode schloss sich der DVR in seinem Beschluss von 2014 an. Anfang September 2014 kündigte Niedersachsen ein Pilotprojekt zur Einführung der Abschnittskontrollen an. Da eine spezialgesetzliche Regelung für die Verkehrsüberwachung mittels Section Control erforderlich ist, wurde diese im Rahmen des Pilotprojektes im § 32 Abs. 6 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes geschaffen. Die Rechtmäßigkeit der Abschnittskontrolle in Niedersachsen wurde mittlerweile abschließend vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt.10

Auswertungen aus Niedersachsen belegen erneut die positive Entwicklung im Verkehrsunfallgeschehen, die Zunahme des Befolgungsgrades und der Regelkonformität, weiterhin eine Reduzierung der Durchschnittsgeschwindigkeit, eine Abnahme der Übertretungen im hohen Geschwindigkeitsbereich sowie kritischer Verzögerungsmanöver und bedingt dadurch eine Harmonisierung des Verkehrsflusses. Einsatzmöglichkeiten für die Abschnittskontrolle zur dauerhaften Verbesserung der Verkehrssicherheit bestehen mittels stationärer oder temporärer mobiler Anlagen z. B. an Unfallhäufungsstrecken, in Baustellenbereichen oder Tunneln, sowie innerorts z. B. zur Verbesserung der Regelkonformität in mehrspurigen, geschwindigkeitsreduzierten Straßenabschnitten.

Zu 6.

Die Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen stellt im Straßenverkehr eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schweren und schwersten Folgen dar. Bereits 2014 hat der DVR gefordert, die Anzahl allgemeiner Verkehrskontrollen erheblich zu erhöhen, da dabei auch fahruntüchtige Fahrer entdeckt werden können. Allerdings bleibt die Beeinflussung der Verkehrstüchtigkeit z. B. durch Alkohol oder Drogen häufig unerkannt, weil sie in Deutschland nicht verpflichtet sind einen Atemalkoholtest zu beatmen bzw. an einem Drogentest mitzuwirken In Deutschland darf die Polizei nach § 36 Abs. 5 StVO Verkehrsteilnehmende zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit verdachtsunabhängig anhalten. Eine Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung der Kontrollierten wird dadurch jedoch nur bedingt begründet. Ohne derartige Mitwirkungspflichten kann Alkohol- und Drogenbeeinflussung nicht ausreichend festgestellt werden. Insbesondere bei der Verkehrsunfallaufnahme ist es nicht länger hinnehmbar, dass es von der individuellen Verdachtsgewinnung der aufnehmenden Beamten abhängig ist, ob eine Überprüfung der Fahrtüchtigkeit bei den Unfallbeteiligten vorgenommen wird. U. a. Verkehrsopferverbände fordern schon lange, dass bei der Unfallaufnahme be- und entlastende Beweiserhebungen durchgeführt werden, wozu auch zumindest der Vortest auf Alkohol- oder Drogenbeeinflussung gehören muss. Bei Verweigerung ist eine Blutentnahme zwingend anzuordnen. Eine Rechtsgrundlage dafür existiert in Deutschland – abweichend von anderen europäischen Staaten – bisher nicht.

Deshalb sollte der Bundesgesetzgeber die bisher in § 36 Abs. 5 StVO enthaltene polizeiliche Verkehrskontrollbefugnis im Straßenverkehrsgesetz neu regeln. Die Neuregelung sollte eine eindeutige Ermächtigung zum Erteilen polizeilicher Kontrollanweisungen enthalten, die insbesondere auch dazu ermächtigt, Verkehrsteilnehmer zum Beatmen eines Atemalkoholtest und zur Mitwirkung an einem Drogentest aufzufordern. Verweigerte Mitwirkung sollte sanktionsbewehrt sein und zum Verlust der Fahrerlaubnis führen.

Eine gesetzliche Regelung der Verkehrskontrollbefugnis ist nötig, weil die StVO aufgrund ihrer Normqualität als Rechtsverordnung keine wesentlichen Rechtseingriffe zulässt, die Verkehrsteilnehmer zu Mitwirkungshandlungen verpflichten, bei denen sie sich selbst belasten können und die mit Strafandrohung durchgesetzt werden sollen. In den meisten europäischen Nachbarländern sind derartige Mitwirkungspflichten schon seit Jahren Standard. So darf beispielsweise die Polizei in Österreich bei jeder Kontrolle verdachtslos einen Alkoholtest anbieten. Die Testverweigerung wird mit einer Alkoholisierung von über 1,6 Promille gleichgesetzt. Dann drohen Geldstrafen bis 5.900 Euro und sechs Mo-nate Fahrerlaubnisentzug.

Zu 7.

Empfohlen wird die Einrichtung polizeilicher Fahrradstaffeln in Großstädten ab 100.000 Einwohnern. Polizeiliche Fahrradstaffeln, die mit der Verkehrsüberwachung und Präventionsarbeit im Bereich der Radverkehrssicherheit betraut sind, haben sich etwa in Hamburg und Berlin bereits bewährt. Laut einer Evaluation der Berliner Fahrradstaffel durch die Unfallforschung der Versicherer (UDV)11 führte der Einsatz im Berliner Innenstadtgebiet zu einer häufigeren Ahndung typischer Regelverstöße, einem regelkonformeren Verkehrsverhalten und einem Rückgang schwerer Radverkehrsunfälle. Gleichzeitig konnte eine positive Wahrnehmung durch die Verkehrsteilnehmenden nachgewiesen werden.
Zu beachten ist, dass polizeiliche Fahrradstaffeln nicht bloß durch die Ausrüstung von Polizeieinheiten mit Fahrrädern einzurichten sind, sondern vor allem der Aufgabenbereich auf die Überwachung und Ahndung von Verstößen mit Auswirkungen auf die Radverkehrssicherheit sowie die entsprechende Präventionsarbeit gelegt werden muss. Dabei sollten gleichermaßen Verkehrsverstöße durch Radfahrende in den Blick genommen werden wie auch solche durch andere Verkehrsteilnehmende mit besonderem Gefährdungspotenzial für den Radverkehr wie z.B. zu enges Überholen oder Abbiegeverstöße.

Zu 8.

Das Ziel der Verkehrsüberwachung ist die Prävention von Unfällen mit Personenschäden. Um diese Präventionsfunktion optimal zu erfüllen, ist eine möglichst präzise Einsatzplanung hinsichtlich Örtlichkeiten und Zeitpunkten anzustreben. Da Gefahrensituationen nicht nur an bekannten Unfallhäufungsstellen auftreten, ist eine Analyse der Parameter, welche Unfälle begünstigen können, eine wichtige Grundlage für eine am Präventionsprinzip ausgerichtete Verkehrsüberwachung. Dazu sollten alle relevanten Daten möglichst bundeseinheitlich zusammengeführt, aufbereitet und nutzbar gemacht werden. Selbstverständlich wird dadurch nicht nur die Verkehrsüberwachung, sondern wesentlich auch die Schaffung einer sicheren Verkehrsinfrastruktur erleichtert. In Baden-Württemberg wurde 2014 ein sogenanntes Verkehrssicherheitsscreening (VSS) eingeführt. Das VSS ist eine webbasierte verwaltungsinterne Datenplattform, die es den Mitgliedern der Unfallkommissionen ermöglicht, auf alle relevanten Daten, die zur Unfallanalyse und zur Beseitigung von unfallbedingten Mängeln in der Straßenverkehrsinfrastruktur benötigen werden, zentral zuzugreifen.12

Neben den mittels Verkehrserfassungsgeräten erhobenen durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärken (DTV) ist insbesondere die Auswertung der Geschwindigkeiten gerade auch an den mittels der Elektronischen Unfalltypensteckkarte ermittelten Unfallhäufungsstellen besonders wertvoll, da damit eine verstärkte Messung an Gefahren- und Unfallhäufungsstellen inklusive der relevanten Zeiten ermöglicht wird. Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt Bayern mit dem Projekt „Präventive Verkehrsüberwachung“.13 Ziel des Projekts ist es, aus den jeweiligen Geschwindigkeitsüberwachungsdaten des Zweckverbandes und der Polizei, den Verkehrsmengen- und Geschwindigkeitsprofildaten des Zweckverbandes und ggf. der Straßenbauverwaltung sowie den Unfalldaten der Polizei ein georeferenziertes Gefährdungsprofil des Straßenverkehrs zu gewinnen, mit dem präventiv Gefahrenpunkte durch zu schnelles Fahren im Straßenverkehr identifiziert werden können. Damit soll eine optimierte Verkehrsüberwachung ermöglicht und in der Folge eine weitere Senkung der Zahl von Unfällen wegen unangepasster Geschwindigkeit erreicht werden. Mit Softwarelösungen wie „a.res analytic“ als Analyse- und Prognosetool werden heterogene Daten, d. h. Daten aus unterschiedlichen Messtechniken bzw. Erfassungsgeräten verknüpft. Darauf aufbauend können diese statistisch analysiert und visualisiert werden, um für die präventive Verkehrsüberwachung das Gefahrenpotenzial von Straßenabschnitten zu bewerten. Dabei sind die Vorgaben der europäischen Richtlinie über intelligente Verkehrssysteme14 zu berücksichtigen.

Zu 9.

Insbesondere im innerörtlichen Verkehr haben sich seit vielen Jahren Geschwindigkeitsbeeinflussungsgeräte bewährt. Autofahrende halten sich eher an eine Begrenzung der Geschwindigkeit, wenn ein sogenanntes Dialog-Display sie mit einem freundlichen „Danke“ belohnt oder einem dezenten „Langsam“ ermahnt. Reine digitale Anzeigen der Geschwindigkeit reduzieren das gefahrene Tempo dagegen deutlich weniger. Das zeigt eine Untersuchung der TU Dresden im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer (UDV) in Berlin in den Jahren 2009 und 2010. Danach werden durch den Einsatz von Dialog-Displays deutliche Geschwindigkeitsreduktionen erzielt und damit die örtliche Verkehrssicherheit erhöht15. Dialog-Displays entfalten besonderen Nutzen dort, wo unangepasste Geschwindigkeiten gefahren werden und zulässige Höchstgeschwindigkeiten häufig überschritten werden.

Gez.
Manfred Wirsch
Präsident


1 DVR-Beschluss „Verkehrsüberwachung“
2 vgl. Beschluss des Bundesrats vom 8.10.2021, BR-Drs. 687/21 (B), Ziffer 2.
3 Verkehrsgerichtstag Goslar 2023
4 DVR Schriftenreihe 21 Verkehrsüberwachung (pdf)
5 Lippold e.a. 2012 Verbesserung der Verkehrssicherheit auf einbahnig zweistreifigen Außerortsstraßen (AOSI)
6 Koßmann 1997, Generalpräventive Wirkung der Verkehrsüberwachung
7 Beschluss des Bundesrats vom 8.10.2021, BR-Drs. 687/21 (B), Ziffer 2.
8 Beschluss des Bundesrats vom 8.10.2021, BR-Drs. 687/21 (B), Ziffer 1.
9 SPEED AND CRASH RISK, OECD/ITF 2018, Austria: Introduction of section control: “The number of people injured decreased by 37% and the number of people seriously injured decreased by 61%”.
10 vgl. OVG Lüneburg - 13.11.2019 - AZ: OVG 12 LC 79/19.
11 vgl. Drei Jahre Fahr­rad­staf­fel der Ber­li­ner Poli­zei: UDV zieht posi­tive Bilanz
12 Pozybill, Straßenverkehrstechnik 11.2018 (pdf)
13 Abschlussbericht „Präventive Verkehrsüberwachung, Raser ausbremsen mit System“
14 Europäische Richtlinie über intelligente Verkehrssysteme
15 vgl. Schulze C., Gehlert T. (2010): Evaluation dynamischer Geschwindigkeitsrückmeldung, Berlin: Unfallforschung der Versicherer (UDV) und Schlag, B., Stern, J., Butterwegge, P. & Degener, S. (2009): „Lob und Tadel“ Wirkungen des Dialog-Displays. Berlin: Unfallforschung der Versicherer (UDV).