Sicheres Nutzen von Kleinkrafträdern

Beschluss vom 04.11.2019 auf der Basis einer Empfehlung des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik unter Mitwirkung des Vorstandsausschusses Junge Kraftfahrer

Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2019

Beschluss

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) fordert

um Gefahren durch Verschleiß zu verhindern und die Sicherheit vor Manipulationen zu erhöhen:

  • Die Regelungen für die Typzulassung von Kleinkrafträdern sind so zu ändern, dass die Manipulationssicherheit bezüglich Leistungs- und Geschwindigkeitssteigerung erhöht wird. Unabhängig davon sollten Hersteller freiwillig wirkungsvolle Maßnahmen zur Verhinderung von Manipulationen ergreifen.
  • Insgesamt sind die gesetzgebenden Gremien in Europa aufgerufen, die sicherheitstechnischen Anforderungen bei der Typprüfung zu stärken.
  • Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sollte die Auswirkungen einer periodischen Fahrzeugprüfung untersuchen.

um Fahrausbildung, Fahrerlaubnisprüfung und Training zu verbessern:

  • Motorische Kompetenzen, Verkehrssicherheitseinstellungen sowie Kompetenzen zur Verkehrswahrnehmung und Gefahrenvermeidung sollen frühzeitig in der vorschulischen und schulischen Verkehrserziehung gefördert sowie später in Fahrausbildung und Fahrprüfung stärker thematisiert werden.
  • Durch die Unfallaufnahme und Unfallforschung soll eine genauere Untersuchung der Ursachen von Unfällen, in denen Kleinkrafträder eine Rolle gespielt haben, erfolgen und durch den Gesetz- und Verordnungsgeber überprüft werden, inwieweit die vorgeschriebenen Ausbildungsinhalte in Fahrausbildung und Prüfung zur Verhinderung dieser Unfälle ausreichend sind.
  • Davon abhängig sollen der Gesetz- und Verordnungsgeber die rechtlichen Vorgaben für Fahrausbildung und Fahrerlaubnisprüfung in den unfallrelevanten Bereichen überarbeiten und ergänzen. Dies betrifft insbesondere Grundfahr-Aufgaben, Verbesserung der Kurventechnik, auch bei höheren Geschwindigkeiten, sowie eine Erweiterung der Prüfung auf einen praktischen Teil im Bereich „Mofa“.
  • Akteure der Verkehrssicherheitsarbeit werden aufgefordert, leicht zugängliche Angebote zielgruppengeeigneter Sicherheitstrainings anzubieten, die insbesondere Kompetenzen zur Verkehrswahrnehmung, Gefahrenvermeidung, sicherheitsrelevanter Einstellungen und Handling, z.B. bei höheren Geschwindigkeiten (45/60 km/h) behandeln. Versicherungsträger, Kommunen und Betriebe sollten diese Angebote zur Erhöhung der Sicherheit von Schülerinnen und Schülern oder Auszubildenden fördern.

um über die wichtigsten Faktoren einer sicheren Verkehrsteilnahme aufzuklären:

  • Mit geeigneten Kampagnen soll für eine verantwortliche und regelgerechte Verkehrsteilnahme auf dem Kleinkraftrad geworben werden.
  • Dabei soll über die Gefahren von technischen Mängeln und Manipulationen sowie über deren (rechtliche) Folgen aufgeklärt werden. Weiterhin soll zusätzlich über die Sicherheitswirkung von Schutzkleidung beim Fahren mit dem Kleinkraftrad informiert und ein Bewusstsein für die Notwendigkeit geschaffen werden, die eigenen Fahrkompetenzen mit dem Kleinkraftrad zu verbessern.

um Regelkonformität (Technik, Verhalten) durch Verkehrsüberwachung zu erreichen:

  • Verkehrskontrollen sollten durch die Polizei verstärkt durchgeführt werden.

um mit Hilfe von überzeugenden Sanktionen einen sicheren Umgang mit Kleinkrafträdern zu fördern:

  • Durch den Gesetzgeber sind die Sanktionen für technische Mängel und für Manipulation zu verschärfen.
  • Dazu gehört insbesondere eine konsequentere Sanktionierung sowohl bei Erstauffälligkeit als auch bei Wiederholungsfällen.
  • Die Gerichte sollten dabei in Kooperation mit der Jugendgerichtshilfe häufiger verkehrspädagogische Maßnahmen anordnen.

Erläuterung

Fahrende von motorisierten Zweirädern sind im Straßenverkehr besonders gefährdet. Dabei fällt das Unfallgeschehen bei der Nutzung von Mopeds besonders auf, da hier nur geringe Fortschritte bei der Verbesserung der Verkehrssicherheit zu beobachten sind.

Gemeint sind zweirädrige Kleinkrafträder (KKR) mit Versicherungskennzeichen; das betrifft Mofas und Mopeds, entsprechend der EG-Fahrzeugklasse L1e mit bis zu 50 cm3, einer Leistung von bis zu 4 kW und einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von maximal 45 km/h, sowie gleichwertige nationale Fahrzeugklassen.

Obwohl sich ein Trend zu elektrisch angetriebenen KKR zeigt, werden diese hier nicht berücksichtigt. Zum jetzigen Zeitpunkt können keine quantifizierbaren Ableitungen aus den beobachtbaren Trends zu einem vermehrten Sharing-Angebot und privaten Kauf von Elektro-KKR gemacht werden.

Mit zweirädrigen Kleinkrafträdern (KKR der EG-Fahrzeugklasse L1e) geschahen im Jahr 2018 in Deutschland 14.683 Unfälle mit Personenschaden. Die Zahl der getöteten KKR-Benutzer lag bei 78 Personen, die der schwerverletzten KKR-Benutzer bei 2.8791.

Das Risiko – bezogen auf die Fahrleistung – auf einem KKR getötet zu werden, ist in etwa sechs Mal so hoch, wie das Risiko im Pkw getötet zu werden. Das Risiko zu verunglücken ist etwa neun Mal höher und damit auch höher als bei Motorrad Nutzenden2.

KKR verunglücken meist innerorts (85%)3.

Betrachtet man die Verkehrsunfälle mit KKR-Beteiligung genauer, so dominiert der Fahrunfall mit 43,5% deutlich gefolgt vom Unfall im Längsverkehr (18,2%)4.

Auf KKR verunglücken besonders häufig Jugendliche und Senioren. Vor allem die Senioren (65+) erleiden besonders häufig tödliche Verletzungen (44%). Bei den 15- bis 17-Jährigen ist der Anteil der Getöteten mit 3% deutlich geringer, der Anteil der Verunglückten aber mit 22% deutlich höher6.

Bei 6% der Unfälle waren die meist älteren Fahrenden (55 bis 65 Jahre) alkoholisiert. Darüber hinaus zeigt sich die nicht angepasste Geschwindigkeit als dominierendes Fehlverhalten über alle Altersgruppen hinweg, gefolgt von zu geringem Abstand, der vor allem bei den bis zu 25-jährigen Unfallbeteiligten deutlich wird7.

Es ist zu erwarten, dass in Zukunft bereits 15-Jährige diese Fahrzeuge führen dürfen. Die Evaluation des entsprechenden Modellversuches zur Herabsetzung des Mindestalters von 16 auf 15 Jahre in einzelnen Bundesländern zeigte eine mit der Verdopplung der Nutzerzahlen verbundene Verdopplung der polizeilich erfassten Unfälle. Eine hohe Dunkelziffer ist zu vermuten.

Im Folgenden werden Themenbereiche und darauf bezogene Maßnahmen dargestellt, die zentral sind, um die Unfälle mit Kleinkrafträdern zu verringern:

  • Verschleiß und Manipulationen
  • Fahrausbildung und Training, Aufklärung
  • Verkehrskontrollen
  • Sanktionen und Rechtsfolgen .

Verschleiß und Manipulationen

L1e Fahrzeuge werden zunehmend nicht über professionelle Vertragshändler, sondern z.B. über Supermärkte vermarktet. Zudem ist festzustellen, dass ein hoher Anteil dieser Fahrzeuge zu Niedrigstpreisen deutlich unter 1000 € und damit in entsprechend schlechter Qualität hinsichtlich Fertigung, Materialien und Haltbarkeit verkauft werden (sog. „China-Roller“). Dies hat nicht nur das frühzeitige Auftreten von Schäden und Mängeln zur Folge, sondern auch eine unzureichende Ersatzteilversorgung.

Eine Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat 2013 im Saarland unter anderem den technischen Zustand von und Manipulationen an Kleinkrafträdern untersucht. Von den dazu in Verkehrskontrollen untersuchten Fahrzeugen erreichten 72% der Mofas und 32% der Kleinkrafträder Geschwindigkeiten oberhalb der jeweiligen bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit. Zusammengefasst erwiesen sich 50% der untersuchten Kleinkrafträder als manipuliert.8

Da Fahrzeuge der Klasse L1e nicht der periodischen Fahrzeugüberwachung nach § 29 StVZO, der sog. Hauptuntersuchung (HU), unterliegen, werden unzulässige Manipulationen oder Verschleiß lediglich im Rahmen von Stichproben-Kontrollen der Polizei oder nach schwereren Verkehrsunfällen, in die die entsprechenden Fahrzeuge verwickelt sind, durch sachverständige Begutachtungen festgestellt.

Mit Umsetzung der Verordnung (EU) 168/2013/EU zur Genehmigung und Marktüberwachung von Fahrzeugen der Klasse L und den damit verbundenen Durchführungsverordnungen (3/2014, 44/2014 und 134/2014) wurden insbesondere die Vorschriften zur Manipulationssicherheit und Dauerhaltbarkeit auch für Mopeds verschärft. Aber auch wenn seit 2017 verschärfte Anforderungen für die Genehmigung solcher Fahrzeuge gelten, entsprechen dennoch die meisten im Verkehr befindlichen Mopeds noch den alten Vorschriften.

Die Europäische Kommission hat aktuell eine Studie9 erstellen lassen, in der unter anderem die Frage behandelt wird, welche Auswirkung die Einführung einer verbindlichen, periodischen Fahrzeuguntersuchung für Mopeds in Spanien (Einführungszeitraum zwischen 2007 und 2010) auf die Verkehrssicherheit hat und wie das Kosten/Nutzen-Verhältnis aussieht.

Zusammenfassend kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass durch die Einführung der Moped-HU in Spanien pro Jahr ca. fünf Getötete, 53 Schwerverletzte und 262 Leichtverletzte vermieden werden und sich ein volkswirtschaftliches Kosten/Nutzen-Verhältnis von 4,73 ergibt. Die Ergebnisse lassen sich aufgrund anderer Rahmenbedingungen allerdings nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen, z.B. wegen unterschiedlicher Fahrzeugflotten, unterschiedlichem Nutzungsverhalten oder unterschiedlicher Witterung.

Aufgrund der aktuellen Richtlinie 2014/45/EU unterliegen Mopeds in Europa nicht der Pflicht zur periodischen Fahrzeuguntersuchung. Da diese Richtlinie lediglich die europäischen Mindeststandards definiert, können die Mitgliedstaaten nach eigenem Ermessen verschärfende Vorschriften festlegen.

Setzt man voraus, dass Mopeds (L1e) im Rahmen einer Hauptuntersuchung genauso geprüft würden wie Leichtkrafträder (L3e-A1), dann ließen sich die meisten technischen Mängel feststellen.

Auswertungen des TÜV SÜD deuten darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Fahrzeughalter erst wegen einer bevorstehenden Hauptuntersuchung erforderliche Wartungs- und Reparaturarbeiten durchführen lassen, unabhängig von der Fahrzeugart10.

Damit hat die Hauptuntersuchung generell eine sehr positive Auswirkung auf das Wartungs- und Reparaturverhalten der Fahrzeughalter und damit auch auf die sicherheits- und umweltrelevanten Komponenten an Fahrzeugen.

Fahrausbildung und Training

Insbesondere bei jungen männlichen Nutzern von Kraftfahrzeugen sind problematische Fahreinstellungen aus einer höheren Neigung zum Imponieren, der Suche nach einem Kick sowie negative Gruppeneffekte nachgewiesen. Diese korrespondieren mit geringer Regelakzeptanz sowohl in Bereichen der Geschwindigkeit, der Umsetzung technischer Manipulationen als auch Wahl problematischer Wege z.B. im Stadtverkehr.

Gleichzeitig deuten Erfahrungen aus Ausbildung und Training darauf hin, dass die Fahranfänger oft mit deutlich schlechteren Voraussetzungen in ihre Zweirad-Karriere starten. Fehlende Vorerfahrung mit Fahrrad oder Roller wirkt sich später in Form von fehlendem intuitivem Fahrzeug-Handling und schlechterer Verkehrs- und Gefahrenwahrnehmung aus11.

Diese Defizite müssen in der Fahrausbildung aufgegriffen und beseitigt werden.

Aufklärung

Entsprechend der Erkenntnisse aus den Evaluationen, insbesondere der DVR-Verkehrssicherheitskampagne „Runter vom Gas“ des Jahres 2009, sollte insbesondere für die Zielgruppe der jungen Nutzenden weniger auf Ermahnung, sondern vielmehr auf die Präsentation positiver Handlungsalternativen und Vorbilder gesetzt und die Möglichkeiten von interaktiven, cross-medialen und Social-Media basierten Kampagnenformen genutzt werden.

Verkehrskontrollen

Bei Verkehrskontrollen werden von Polizeibeamten auch zulassungsfreie Fahrzeugen in Augenschein genommen. Soweit es für die kontrollierenden Polizeibeamten auf Basis eigener Sachkunde möglich ist, werden technische Mängel oder unzulässige Veränderungen der genehmigten Bauart beanstandet. Besondere Schwierigkeiten entstehen durch Veränderungen von elektronischen Steuergeräten oder Geschwindigkeitsbegrenzern an geschwindigkeitsbegrenzten, zulassungsfreien Fahrzeugen.12

Sanktionen und rechtliche Folgen

Fahrzeug Führende und Fahrzeughalterinnen und -halter sind verpflichtet, technische Mängel unverzüglich beseitigen zu lassen. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kann die Betriebserlaubnis erlöschen und der Betrieb im öffentlichen Raum mit Verwarn- und Bußgeldern geahndet werden. Technische Veränderungen führen zu einem Erlöschen der Betriebserlaubnis13.

gez.
Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident


1 Siehe Abs. 2.1. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“. Für die Quellen wird im Folgenden auf das „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“ verwiesen.
2 Siehe Abs. 2.2. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
3 Siehe Abs. 2.3. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
4 Siehe Abs. 2.3. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
6 Siehe Abs. 2.3. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
7 Siehe Abs. 2.3. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
8 Siehe Abs. 4.3. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
9 Study on the inclusion of light trailers and two- or three-wheel vehicles in the scope of the periodic roadworthiness tests, MOVE/C2/SER/2017-295-SI2.772857
10 Siehe Abs. 4.5. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
11 Siehe Abs. 3.1. „DVR Wissenspapier Moped-Sicherheit“.
12 Siehe Abs. 5. „DVR Wissenspapier Mopedsicherheit“.
13 Siehe Abs. 3.3. „DVR Wissenspapier Mopedsicherheit“.