Reduzierung der Blendung entgegenkommender Verkehrsteilnehmender

Vorstandsbeschuss vom 09.10.2023 auf Basis einer Empfehlung des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik unter Mitwirkung des Vorstandsausschuss Verkehrsmedizin

Die Fahrzeugbeleuchtung spielt eine wichtige Rolle bei der Verkehrssicherheit und trägt maßgeblich dazu bei, bei Dunkelheit und schlechten Witterungsverhältnissen einerseits den Straßenverlauf, Hindernisse und andere Verkehrsteilnehmende sehen zu können und andererseits selbst von anderen wahrgenommen zu werden. Die Lichttechnik der Frontscheinwerfer (Abblend- und Fernlicht) hat in den letzten 10 bis 15 Jahren mit Einführung der LED-Technologie sowie aktiven Fernlichtsystemen eine enorme positive Entwicklung hin zu mehr Sicherheit durch bessere Fahrbahnausleuchtung genommen.

Dabei muss aber sichergestellt werden, dass andere Verkehrsteilnehmende nicht geblendet werden. Durch Blendung kann sich die Wirkung des Scheinwerferlichts – für den entgegenkommenden Verkehr – im schlimmsten Fall umkehren und zu potenziell kritischen Situationen führen.
Empfehlungen

Um die Blendung anderer Verkehrsteilnehmender durch Frontscheinwerfer zu vermeiden, empfiehlt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR):

  1. Für alle Frontscheinwerfer1 soll eine automatische Leuchtweitenregulierung2 verpflichtend vorgeschrieben werden. Der DVR unterstützt die vorgesehene Änderung der UN-Regelung Nr. 48 zum verpflichtenden Einbau einer automatischen Leuchtweitenregulierung für alle Scheinwerfersysteme.
  2. Die Reinigungsleistung der gängigen Scheinwerferreinigungsanlagen ist nicht vergleichbar mit einer manuellen Reinigung. Die Fahrzeughersteller und/ oder Zulieferer sollten Anstrengungen unternehmen, die Effektivität der Reinigungsanlagen zu verbessern.
  3. Die gesetzlichen Anforderungen sind so anzupassen, dass die Erkennung und Aus-blendung aller entgegenkommenden, relevanten Verkehrsteilnehmenden durch „blendfreies Fernlicht“ sichergestellt werden. Der DVR unterstützt daher die geplanten Anforderungen der UN-Regelung Nr. 48 zur Erkennung und Ausblendung aller relevanten Verkehrsteilnehmenden durch „blendfreies Fernlicht“.3 4
  4. Es wird empfohlen, die Potenziale moderner Lichttechnik beim Euro NCAP5 Ranking, bspw. unter Verwendung des HSPR-Ratings, mehr zu berücksichtigen.
  5. Es bedarf weiterer Unfallforschung zur Frage des Beitrags moderner Lichttechnik für die Verkehrssicherheit sowie dem Einfluss von Blendung auf vulnerable Verkehrsteilnehmende (z.B. Ältere und Kinder).
  6. Fahrzeugführende sollten durch eine entsprechende Kampagne sensibilisiert werden, die Scheinwerfer häufig manuell zu reinigen – insbesondere bei Fahrzeugen ohne Scheinwerferreinigungsanlagen. Zudem sollten Fahrende von Fahrzeugen mit manueller Leuchtweitenregelung hinsichtlich der Relevanz korrekter Scheinwerfereinstellung sensibilisiert werden.
  7. Darüber hinaus sollten Fahrzeugführende durch eine entsprechende Kampagne sensibilisiert werden, die Frontscheibe – auch auf der Innenseite – häufig manuell zu reinigen.
  8. Ebenso sollten auch Werkstätten, Technische Überwachungsorganisationen sowie die Fahrzeughersteller weiterhin sensibilisiert werden, auf eine korrekte Einstellung bzw. Prüfung der Scheinwerfer zu achten.
  9. Der Trend geht zu kompakteren, kleineren Scheinwerfern. Mit zunehmender Leucht-dichte (abnehmende Größe der Lichtquelle) erhöht sich auch die Blendwirkung der Scheinwerfer.6 Das BMDV sollte sich auf internationaler Ebene für eine Regulierung der Leuchtdichte einsetzen.
  10. Der Blauanteil in Xenon- und LED-Scheinwerfern kann für unangenehme Blendung sorgen und über einen längeren Zeitraum potenziell die Sehzellen des menschlichen Auges schädigen. Bei der Entwicklung neuer Scheinwerfer sollten die Scheinwerfer-Hersteller daher darauf achten, schädliche Lichtanteile zu reduzieren oder zu filtern.

Erläuterungen

Erläuterung zu Punkt 1:

Nach UN-Regelung Nr. 48 ist für Lichttypen wie Xenon oder LED mit mehr als 2.000 Lumen die Verwendung einer automatischen Leuchtweitenregulierung vorgeschrieben. Um ohne diese Automatik auszukommen, werden Scheinwerfer verwendet, die bewusst knapp unter diesem Lumen-Grenzwert liegen.

Wie Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)7 zeigen, kann die Blendung des entgegenkommenden Verkehrs jedoch nur durch eine verpflichtende Anwendung der automatischen Leuchtweitenregulierung für alle Scheinwerfersysteme reduziert werden. Die Kopplung an einen Lichtstrom von mehr als 2.000 Lumen kann auf Basis der Daten nicht gestützt werden.

Bei Fahrzeugen mit manueller Leuchtweitenregulierung steht selbst ein pflichtbewusster Fahrzeugführer vor dem Problem, die für den aktuellen Beladungszustand richtige Einstellung nicht immer zu kennen. In der Praxis wird der Leuchtweitenregulierung kaum Beachtung geschenkt. Dies führt regelmäßig zu Blendungen. Eine verpflichtende Ausstattung mit automatischer Leuchtweitenregulierung auch für Fahrzeuge mit Scheinwerfer mit weniger als 2.000 Lumen, wie sie in der geplanten Änderung der UN-Regelung Nr. 48 vorgesehen ist, erscheint daher unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit sinnvoll.

Erläuterung zu Punkt 2:

Eine Verschmutzung von Scheinwerfer führt zu erhöhter Blendwirkung, auch bei „blendfreiem Fernlicht“. Insbesondere bei ADB-Systemen8 erhöht sich die Blendwirkung bei verschmutzten Scheinwerfern.

Erläuterung zu Punkt 3:

Fernlicht ist eine nützliche Einrichtung, um im Dunkeln kaum beleuchtete Straßen besser ausleuchten zu können, wird in Deutschland oft aber zu selten oder in falscher Weise genutzt. Die Automatisierung durch einen Fernlichtassistent unterstützt dabei, dieses häufiger einzusetzen. Durch „blendfreies Fernlicht“ wird zudem die Blendung des Gegenverkehrs reduziert. Um diesen Vorteil voll ausnutzen zu können, muss das „blendfreie Fernlicht“ den entgegenkommenden Verkehr – einschließlich Radfahrender – erkennen und ausblenden können, unabhängig davon welche Straßenseite dieser nutzt.

Erläuterung zu Punkt 4:

Euro NCAP führt umfassende, objektive und unabhängige Sicherheitsbewertungen von Fahrzeugen durch und macht mit seinem Ranking die Sicherheit der Fahrzeuge für Kaufende transparent und vergleichbar. Dabei werden die Anforderungen stets weiterentwickelt und gehen oft über die gesetzlichen Vorgaben hinaus.

Kriterien für die Fahrzeugbeleuchtung, wie sie das IIHS9 und das HSPR-Rating10 entwickelt haben, sehen die NCAP-Prüfprotokolle derzeit allerdings nicht vor. Angesichts der auch zukünftig hohen Relevanz der Lichttechnik für die Verkehrssicherheit sollte Lichttechnik daher zukünftig stärker beim NCAP-Ranking berücksichtigt werden.

Erläuterung zu Punkt 5:

Auch wenn bereits diverse (Probanden-)Studien zum Zusammenhang von Lichttechnik, Blendung und Verkehrssicherheit durchgeführt wurden, ist die Studienlage in Bezug auf Un-fallanalysen noch ausbaufähig. Es wird daher empfohlen, weitere Unfallforschung zur Frage des Beitrags moderner Lichttechnik für die Verkehrssicherheit sowie zum Einfluss der Blen-dung auf vulnerable Verkehrsteilnehmende durchzuführen.

Erläuterungen zu den Punkten 6 und 7:

Verschmutzte Scheinwerfer können zur Blendung des Gegenverkehrs führen. Das gilt vor allem bei leichten Verschmutzungen. Die Blendungswirkung kann dann bis zu viermal so stark sein wie bei sauberen Scheinwerfern. Aus diesem Grund müssen aktuell moderne Scheinwerfer mit einem Soll-Lichtstrom von über 2.000 Lumen mit einer Reinigungsanlage ausgestattet sein. Um die Blendung anderer Verkehrsteilnehmender zu vermeiden, sollten darum auch Fahrzeugführende häufig ihre Scheinwerfer manuell säubern – insbesondere bei Fahrzeugen ohne Scheinwerfer-Reinigungsanlage.

Zudem können Fahrzeugführende die Blendung durch andere Fahrzeuge reduzieren, indem diese darauf achten, die eigene Frontscheibe außen und innen stets sauber zu halten. Verschmutzung und Schlieren auf der Frontscheibe streuen das einfallende Licht. Das kann die Blendung verstärken.

Erläuterungen zu Punkt 8:

Zu einer der häufigsten Ursachen für die Blendung entgegenkommender Verkehrsteilnehmender zählen zudem falsch eingestellte Scheinwerfer. Insbesondere bei voller Beladung des Fahrzeugs oder einem angekuppelten Anhänger ist ein Korrigieren der Leuchtweite sowie nach dem Austausch der Leuchtmittel ein Justieren der Scheinwerfer notwendig.

Laut einer Analyse der BASt11 sind Scheinwerfer, die in einer Kfz-Werkstatt eingestellt wurden, im Mittel um -1,25 % zu tief ausgerichtet. Als Gründe hierfür nennt die BASt-Studie neben schlechtem Bodenbelag und nicht verwendeten Führungsschienen auch Mängel hinsichtlich der fachlichen Qualifikation des Werkstattpersonals. Aber auch Neuwagen werden mitunter bereits ab Werk mit zu hoch/tief eingestellten Scheinwerfern ausgeliefert. Um eine korrekte Scheinwerfereinstellung zu gewährleisten und die Blendung anderer Verkehrsteilnehmender möglichst zu vermeiden, sollte daher das Personal in Werkstätten und der Fahrzeugproduktion entsprechend geschult und hinsichtlich der Erfordernisse des Einstellprozesses sensibilisiert werden.

Bei über einem Viertel aller Pkw in Deutschland werden bei der Hauptuntersuchung Mängel an lichttechnischen Einrichtungen festgestellt. Auch vor diesem Hintergrund bleibt es weiterhin wichtig, einerseits die Fahrzeugführenden für dieses Problem zu sensibilisieren und an-dererseits aber auch die Technischen Überwachungsorganisationen dazu anzuhalten, auf korrekte Prüfung der Scheinwerfereinstellung zu achten.

Erläuterungen zu Punkt 9:

Neueste Untersuchungen zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Blendwirkung und der Größe der Lichtquelle12. Zudem ist mit moderner Technik eine Verringerung der Größe der Lichtquelle und damit zunehmender Leuchtdichte immer weiter möglich. Die aktuellen Regulierungen sehen keine Limitierung der Leuchtdichte vor. Diese Problematik betrifft alle Leuchten am Fahrzeug (z.B. Fahrtrichtungsanzeiger, Bremsleuchten, Tagfahrlicht).

Erläuterungen zu Punkt 10:

Xenon- und LED-Scheinwerfer weisen im Vergleich zu anderen Scheinwerferarten einen sehr hohen Blaulichtanteil auf. Das energiereiche, künstliche blaue Licht dieser Scheinwerfer wird von vielen Verkehrsteilnehmenden in der Nacht als unangenehmer empfunden. Es steht zudem im Verdacht, langfristig die Netzhaut zu schädigen und bspw. Grauen Star sowie die altersbedingte Makuladegeneration zu fördern. Zu diesem Ergebnis kam u.a. eine 2016 durchgeführte Studie des französischen Instituts für Gesundheit und Medizinforschung.13 14

Gez.
Manfred Wirsch
Präsident


1 Derzeit ist eine automatische Leuchtweitenregulierung nur für Abblendlicht mit einem Soll-Lichtstrom über 2.000 Lumen vorgeschrieben.
2 Ausgenommen bei Fahrzeugen, die über eine automatische Niveauregulierung die Leuchtweite ausgleichen.
3 Blendfreies Fernlicht sollte bspw. auch bei Fahrzeugen ab Level 3 im automatisierten Modus sichergestellt werden.
4 Die Sensorik des aktiven und adaptiven Fernlichtsystems ist so zu verbessern, dass andere Verkehrsteilnehmende weniger geblendet werden, zum Beispiel in Situationen, in denen die Lichtquelle anderer Verkehrsteilnehmender nicht klar erkannt wird. Die Reaktionszeit der aktiven und adaptiven Fernlichtsysteme muss verkürzt werden.
5 Euro NCAP (= Europäisches Neuwagen-Bewertungsprogramm) ist eine Gesellschaft europäischer Verkehrsministerien, Automobilclubs und Versicherungen, die Crashtests nach vergleichbaren Kriterien durchführt. Die Tests sind gesetzlich nicht vorgeschrieben, dienen dem Verbraucher aber zur Information.
6 Quelle: Studien von ADAC und TU Darmstadt, Lehrstuhl Prof. Dr. Khanh
7 BASt, Heft F 129, „Anforderungen an die dynamische Leuchtweitenregelung zur Vermeidung der Blendung entgegenkommender Verkehrsteilnehmer“, 2019
8 ADB = Adaptive Driving Beam/ blendfreies Fernlicht
9 Das IIHS („Insurance Institute for Highway Safety“) ist ein US-amerikanisches Institut, das u.a. Unfallforschung betreibt, Crashtests durchführt, die Gestaltung von Straßen erforscht, etc.
10 Das „Headlight Safety Performance Rating“ (HSPR) der Gruppierung internationaler Lichttechnik-Experten GTB will objektive Standards zur Bewertung von Scheinwerfern schaffen.
11 BASt, Heft F 129, „Anforderungen an die dynamische Leuchtweitenregelung zur Vermeidung der Blendung entgegenkommender Verkehrsteilnehmer“, 2019
12 Entwicklung von kleineren und schmaleren Scheinwerfersystemen
13 Krigel A, Berdugo M, Picard E, Levy-Boukris R, Jaadane I, Jonet L, Dernigoghossian M, Andrieu-Soler C, Torri-glia A, Behar-Cohen F. Light-induced retinal damage using different light sources, protocols and rat strains reveals LED phototoxicity. Neuroscience. 2016
14 Hu et. al. (2022): Study on the Influence of Opposing Glare from Vehicle High-Beam Headlights Based on Drivers’ Visual Requirements. International Journal of Environmental Research Public Health, 19 (5).