Fahrausbildung: Zielgerichtete Kombination von Präsenz-Theorieunterricht und E-Learning

Beschluss vom 25.10.2021 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Junge Kraftfahrer

Einführung

Schon vor der SARS-CoV-2-Pandemie gab es Bestrebungen aus dem In- und Ausland, den theoretischen Unterricht im Rahmen des Fahrerlaubniserwerbs webbasiert zu ermöglichen. Diese Bestrebungen wurden gerade in der SARS-CoV-2-Pandemie intensiviert, insbesondere hinsichtlich einer Verlagerung des Präsenzunterrichtes hin zu einem reinen „E-Learning“. Da es bis heute keine Zertifizierung von Online-Angeboten für den theoretischen Fahrschulunterricht gibt, besteht das Risiko eines nicht qualitätsgesicherten Einsatzes von Medien und Methoden.

Der DVR sieht einen zielgerichteten Einsatz von unterstützenden elektronischen Medien im Rahmen der theoretischen Fahrausbildung als durchaus bereichernd an. Der DVR lehnt hingegen auf Grundlage des aktuellen Forschungsstandes zum momentanen Zeitpunkt eine vollständige Durchführung des theoretischen Unterrichts mittels E-Learning im Rahmen der Fahrausbildung ab. Vielmehr fordert der DVR die wissenschaftliche Entwicklung von didaktisch fundierten und zielgruppen- bzw. bedarfsgerechten Blended-Learning-Konzepten, die einen binnendifferenzierten und mit der praktischen Ausbildung verzahnten Unterricht sicherstellen sowie nachweislich lernwirksame Möglichkeiten zur Verbindung der Vorteile von Präsenzlernen und E-Learning bieten.

Empfehlungen

  • Aufbauend auf dem Forschungsstand erscheint es empfehlenswert, die künftige theoretische Ausbildung von Fahrschülerinnen und Fahrschülern durch eine Verbindung von Präsenzunterricht und asynchronem E-Learning (d. h. Blended Learning) durchzuführen. Der DVR empfiehlt dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, zeitnah ein wissenschaftlich begründetes Blended-Learning-Konzept auszuarbeiten und hinsichtlich seiner Lernwirksamkeit im Rahmen eines wissenschaftlichen Pilotprojekts zu evaluieren.
  • Der DVR empfiehlt dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, in der Fahrschüler-Ausbildungsordnung festzuschreiben, welche Inhalte zwingend im Rahmen eines Präsenzunterrichts in der Fahrschule behandelt werden müssen und welche Inhalte im E-Learning Verfahren angeeignet werden können. Die Teilnahme an einer virtuellen Fahrschulunterrichtseinheit wäre dann mit der Teilnahme an einer Unterrichtseinheit in Präsenz für den definierten Inhalt gleichzustellen.
  • Die Lernwirksamkeit von Bildungsangeboten hängt stark von ihrer Umsetzungsqualität ab. Der aktuelle Forschungsstand zeigt für vielfältige Bildungsbereiche, dass vorhandene E-Learning-Angebote und Präsenzlern-Angebote die mit ihnen verbundenen Potenziale zum Erzielen einer hohen Lernwirksamkeit oftmals noch nicht ausschöpfen. Der DVR regt daher an, dass das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur auf wissenschaftlicher Basis Qualitätsstandards für das E-Learning und den Präsenzunterricht vorgibt.
  • Der DVR empfiehlt den Ländern bzw. den verantwortlichen Stellen, nur Blended-Learning-Angebote für die theoretische Fahrausbildung anzuerkennen, die diese auf wissenschaftlicher Basis entwickelte Qualitätsstandards erfüllen können.
  • Mit der Einführung eines Blended-Learning-Konzepts ist ein Wandel der Rolle der Fahrlehrerin bzw. des Fahrlehrers verbunden: Lehrende fungieren als Lernbegleitende beim E-Learning (z. B. Vorgeben von Lernzielen, Überwachen des Lernverlaufs der Fahrschülerin bzw. des Fahrschülers) und müssen den Präsenzunterricht an die Ergebnisse des E-Learning anpassen. Damit sich Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen können, empfiehlt der DVR die Schaffung eines umfassenden Aus- und Fortbildungsangebots für Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer.
  • Zusätzlich empfiehlt der DVR dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, wissenschaftlich zu prüfen, ob ein ausschließlich digitaler (synchroner) Unterricht vergleichbare Lernerfolge erzielen kann und falls ja, welche Mindestvoraussetzungen dafür erforderlich wären.

Erläuterung

Die Diskussionen um den Einsatz von elektronischen Medien im Rahmen der theoretischen Fahrausbildung haben insbesondere in den Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie verstärkt zugenommen. Der Begriff „elektronisches Medium“ sagt aus, dass es sich um ein Medium handelt, das auf elektronischem Weg empfangen und wiedergegeben werden kann und somit eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten beinhaltet.[1]

Im Rahmen von Bildung wird neben dem Einsatz von elektronischen Medien häufig der Begriff E-Learning genannt. Unter E-Learning werden eher alle Lehr-/Lernformen verstanden, bei denen elektronische oder digitale Medien für die Verbreitung von Inhalten und Lernmaterialien oder zur Unterstützung der menschlichen Kommunikation verwendet werden.[2] Im Bildungsbereich wird der Begriff „E-Learning“ daher als Synonym für ganz unterschiedliche Lehr-/Lernformen verwendet.

Bei Web- und Computerbasierten Lernformen (WBT und CBT) handelt es sich um Lernprogramme, die von den Nutzenden räumlich und zeitlich flexibel genutzt werden können und kein direkter Kontakt zu Lehrenden und anderen Lernenden notwendig ist.[3] In anderen Veröffentlichungen wird diese Form auch als „asynchrones E-Learning“ bezeichnet.[4] Diese Form des E-Learnings ist aus vielen beruflichen Weiterbildungsangeboten sowie Fernstudiengängen bekannt.

Bei der „Virtuellen Lehre“ oder dem „Virtuellen Klassenzimmer“ hingegen dient das Internet dazu, Lehrende und Lernende, die sich an ganz verschiedenen Orten aufhalten, zu einem definierten Zeitpunkt als Lerngruppe zusammen zu führen.[5] Diese Form des E-Learning, die auch als synchrones E-Learning bezeichnet wird, gestattet auch eine Interaktivität z.B. durch eine Chat-Funktion oder die Möglichkeit, direkt Fragen stellen und Antworten geben zu können.

Beim „Blended Learning“ hingegen werden E-Learning-Ansätze (synchron und asynchron) mit Präsenzphasen verbunden, um die Vorteile von Präsenzlernphasen mit den Vorteilen von E-Learningphasen zu verbinden. Diese Form des Lernens ist vor allem aus dem Arbeitsschutz bekannt und verbindet die theoretische Wissensvermittlung mit der praktischen Umsetzung.[6] In einem Review verschiedener Metaanalysen zeigte Thalheimer (2017)[7] auf, dass es z. B für die Lerneffektivität entscheidend ist, dass realistische Entscheidungsfindungen, Wiederholungen, reale Kontexte und Feedback neben anderen Lernfaktoren zu einem besseren Lernerfolg führen, als die reine Vermittlung von Information. Dabei zeigten die Forschungsergebnisse, dass Blended-Learning-Konzepte bessere Lernergebnisse erzielten, als ausschließliche Präsenz- oder E-Learning-Konzepte. Besonders eignet sich Blended-Learning bei heterogenen Lerngruppen.[8]

Dies ist auf den theoretischen Unterricht der Fahrausbildung übertragbar und wird auch schon als unterstützende Maßnahme auf freiwilliger Basis bereits angeboten. Dabei muss eine binnendifferenzierte Vorgehensweise sichergestellt werden, die die ausgesprochen wichtigen sozialen und kulturellen Faktoren der Verkehrsteilnahme einbezieht. Hierfür erscheinen Präsenzphasen unabdingbar, um u.a. Gestiken, Mimiken und Reaktionen innerhalb der Lerngruppe als lehrende Person unmittelbar erfassen und zum Gegenstand des Lernens machen zu können. Es erfordert eine klare wissenschaftliche Definition, welche Inhalte zwingend in einer Präsenzphase und welche Inhalte in E-Learning-Phasen (asynchron oder synchron) vermittelt werden können. Dies muss verbindlich in der Fahrschüler-Ausbildungsordnung festgeschrieben werden. Dafür ist die wissenschaftliche Entwicklung eines bundeseinheitlichen Rahmencurriculums für „Blended-Learning in der theoretischen Fahrausbildung“ notwendig, das die Verzahnung von theoretischen und praktischen Unterricht sicherstellt.

 

gez.
Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident

 


[4] Vgl. TÜV | DEKRA arge tp 21 – „Positionen zur Bedeutung elektronischer Medien in der Fahranfängervorbereitung“, Stand 8.6.2020

[7] Vgl. Will Thalheimer (2017), „Does eLearning Work? What the Scientific Research Says!“

[8] Vgl. Yvonne Maria Marczok (2016), „Blended Learning as a response to student heterogeneity“