Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Vehicle-to-X-Kommunikation

Beschluss vom 25.10.2021 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik

Präambel

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) unterstützt die Ziele der Bundesregierung, das automatisierte und vernetzte Fahren zu fördern und dabei Regelungen und Standards in den Gremien auf europäischer und internationaler Ebene aktiv zu gestalten[1].

Der DVR sieht ein großes Potential zur Vermeidung bzw. Abschwächung von Unfällen besonders bei solchen Anwendungen, die unmittelbare Gefahrensituationen durch schnelle Informationsübertragung (= Vehicle-to-X/ V2X)[2] im Wesentlichen durch eine Warnung an den Fahrzeug Führenden adressieren oder die fahrzeugautarken Funktionen, z.B. der Gefahrenbremsung, verbessern. Besonders solche Unfälle, die zu schweren Verletzungen führen, wie z.B. aufgrund des Abbiegens oder Überholens auf Landstraßen, aber auch innerorts insbesondere an Kreuzungen, können verhindert oder in ihrer Folge abgeschwächt werden. An Kreuzungen können z.B. Sondereinsatzfahrzeuge durch diese V2X-Technologie deutlich früher wahrgenommen und somit Unfälle verhindert werden. Gemäß der GIDAS Stichprobe waren 30% der kreuzenden Fahrräder und 37% der die Straße überschreitenden zu Fuß Gehenden in Unfallsituationen verdeckt[3]. Diese werden von konventionellen sensor-basierten Sicherheitssystemen nicht oder erst zu spät erkannt, um die Kollision zu verhindern. Auch andere Anwendungen, die weniger zeitkritisch sind, wie z.B. eine Stauendewarnung oder ein Hinweis auf glatte Straßen, sind sicherheitsfördernd. Die positive Wirkung steigt mit der Anzahl und Art (Pkw, Lkw, Motorräder, Agrarmaschinen, Fahrräder, öffentliche Busse und Straßenbahnen, Rettungs- und Einsatzfahrzeuge, elektrifizierte Mikromobilität wie bspw. Pedelecs, usw.) der in die Informationsübertragung einbezogenen Verkehrsteilnehmer und ausgestatteter Straßeninfrastruktur wie Kreuzungen oder mobiler Baustellen.

Hintergrund

Im Jahr 2017 hat der DVR hierzu einen Beschluss[4] gefasst und unter anderem gefordert, dass die verwendete Kommunikationstechnologie dabei in der Lage sein muss,

  • Daten in Echtzeit, d.h. mit einer geringen Latenz, bereitzustellen (Latenz für Übertragung <3 ms bei Gesamtkommunikationslatenz von maximal 100 ms),
  • Überall, standortunabhängig und jederzeit zur Verfügung zu stehen,
  • Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller sowie die Infrastruktur untereinander kommunizieren zu lassen.

Es gibt eine Reihe von Infrastrukturbetreibern, insbesondere Kommunen und Autobahnbetreiber, die zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten V2X-Systeme bereits einsetzen bzw. einsetzen wollen. Die zahlreichen, von Seiten des Bundes geförderten Testfelder für das vernetzte Fahren im Realverkehr haben hinreichende Erkenntnisse über die positive Wirkung des vernetzten Fahrens auf die Verkehrssicherheit erbracht. Darüber hinaus haben die ersten Einführungen bei Fahrzeugherstellern und Verkehrsinfrastrukturbetreibern gezeigt, dass die Technologien und das Know-how vorhanden und einsetzbar sind.

Beschluss

Um eine flächendeckende Einführung zu fördern, ist ein einheitlicher Rechtsrahmen erforderlich. Bislang bestehen für die Anwender, besonders die Infrastrukturbetreiber und die Fahrzeughersteller Unsicherheiten, insbesondere in Bezug auf Datenschutz, Informationssicherheit, Standards und Technologie. Die vorhandenen Möglichkeiten zur Steigerung der Verkehrssicherheit werden nicht umgesetzt. Damit geht wertvolle Zeit verloren.

Das für die direkte V2X-Kommunikation für Sicherheitsanwendungen in Europa harmonisierte und geschützte Frequenzspektrum in 5.9 GHz[5] muss vollständig für direkte V2X-Kommunikation nutzbar sein. Insbesondere das Frequenzband von 5915 – 5925 MHz muss überall auch für die sicherheitskritische V2I- und V2V-Kommunikation[6] zur Verfügung stehen. Dazu muss eine gemeinsame Lösung zwischen ITS[7] für den Straßenverkehr und ITS für den städtischen Schienenverkehr gefunden werden.

Der DVR setzt sich im Sinne einer europäischen Lösung für eine nationale Strategie zur Einführung von V2X ein. Dies beinhaltet u.a.:

1. Schaffung der Voraussetzungen:

  • Förderung der Verfügbarkeit von V2X-fähiger Verkehrsinfrastruktur (u.a. finanziell, organisatorisch, Beschaffungen der öffentlichen Hand). Für die Kommunen und Infrastrukturbetreiber kann zur Finanzierung das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz angepasst werden.
  • Geeignete Rahmenbedingungen für Aufbau und Betrieb müssen angepasst werden (u.a. Datenverarbeitung, Datensicherheit, Betreiberstrukturen).
  • Schaffung ergänzender Rahmenbedingungen durch anerkannte Interessenabwägung zwischen V2X-Sicherheitsfunktionen und Datenschutz für das Bereitstellen und Nutzen von standardisierten V2X-Daten mit dem Ziel der maximalen Ausnutzung des Sicherheitspotentials.
  • Für die zentrale Vergabe von Sicherheitszertifikaten zur Authentifizierung der Kommunikationsteilnehmer (Public-Key-Infrastructure) auf nationaler (BMVI/BSI) und europäischer Ebene muss ein dauerhafter Betrieb sichergestellt werden. 
  • Das volle Frequenzband[8] muss technologieoffen langfristig für die V2X-Verkehrssicherheitsanwendungen nutzbar sein ohne die Interoperabilität und - sofern erforderlich - die Rückwärtskompatibilität zu gefährden. Auch im Band 5915 – 5925 MHz muss ergänzend die Fahrzeug-zu-Fahrzeug Kommunikation (V2V) neben der Fahrzeug-zu-Infrastruktur Kommunikation (V2I) für sicherheitskritische Anwendungen ermöglicht werden. Das ist zurzeit nicht der Fall.

2. Priorisierte Umsetzung:

  • Ausstattung motorisierter Fahrzeuge (Pkw, Lkw, Zweiräder, landwirtschaftliche Zugmaschinen, …) sowie der intelligenten Verkehrsinfrastruktur (Warnleitanhänger, …) mit V2X;
  • Die folgenden Sicherheitsfunktionen sollen dabei mit Priorität umgesetzt werden: Einsatzfahrzeugwarnung, Baustellen- und Gefahrenstellenwarnung, Priorisierung von Einsatzfahrzeugen mit V2X an Kreuzungen in Verbindung mit Sicherheitsanwendungen wie Lichtanlagenschaltung, Rotlichthinweise, etc.
  • Ein Fokus muss auf dem Schutz der verletzlichen Verkehrsteilnehmer (zu Fuß Gehende, Radfahrende, Motorradfahrende) mit direkter V2X-Kommunikation des verletzlichen Verkehrsteilnehmers (sogenannte Vulnerable Road User Awareness)[9] und/oder mittels Objekterkennung und direkter V2X-Übertragung insbesondere an Ampel-Kreuzungen oder zwischen Fahrzeugen (sogenannte Collective Perception)[10] liegen.
  • Die Ausrüstung von V2X-fähiger Infrastruktur sollte flächendeckend, beginnend mit den Unfallschwerpunkten auf Landstraßen, innerorts und auf Autobahnen, erfolgen.
  • Die Funktion der V2X-Komponenten von Fahrzeugen und Infrastruktur muss nachhaltig gewährleistet und regelmäßig überprüft werden.

3. Weiteres Vorgehen:

  • Erstellung eines nationalen Umsetzungsplans durch die Bundesregierung für die verbindliche Einführung von V2X-Anwendungen und -systemen;
  • Die weitere Beteiligung der Bundesregierung (z.B. BMVI, Bundesnetzagentur) zur Verbesserung bzw. Erweiterung notwendiger Standards;
  • Sicherstellung der Interoperabilität durch Einhaltung einheitlicher europäischer Standards (u.a. Protokolle, Technologien, Übertragungsmedium);
  • V2X-Anforderungen bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand von Lichtsignalanlagen, dynamischen Verkehrsschildern und Sondereinsatzfahrzeugen berücksichtigen;
  • Unterstützung der Bundesregierung zur Durchsetzung einer europäischen Lösung im Frequenzband 5915 - 5925 MHz, um dieses auch zukünftig für sicherheitskritische direkte V2X-Anwendungen überall in Europa nutzen zu können.
  • Monitoring der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen.

 

gez.
Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident



[1]  In der „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren – Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten“ (Strategie AVF) der Bundesregierung wird u.a. „...  die aktive Gestaltung von Regelungen und Standards in Gremien auf europäischer und internationaler Ebene“ genannt. Siehe: www.bmvi.de/DE/Themen/Digitales/Automatisiertes-und-vernetztes-Fahren/automatisiertes-und-vernetztes-fahren.html

[2] Der Begriff „Vehicle-to-X“ oder auch „Car2X“ bezeichnet hier die automatisierte Informationsübertragung zwischen Fahrzeugen, wie Pkw, Einsatz- bzw. Rettungsfahrzeuge, Nutzfahrzeuge, Motorräder und Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs, wobei neben Kraftfahrzeugen auch Fahrräder oder zu Fuß Gehende mit entsprechender elektronischer Ausrüstung gemeint sein können, aber auch andere Fahrzeuge oder die Straßeninfrastruktur. 

[3] Continental-Auswertung der GIDAS (German In-Depth Accident Study) Pre-Crash-Matrix Daten 2005-2020. Unfälle mit Kreuzen von rechts zum Zeitpunkt 2.0s vor Kollision.

[4] Vorstandsbeschluss des Deutschen Verkehrssicherheitsrats e.V. vom 08.11.2017 mit dem Titel „Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Vehicle-to-X-Kommunikation“

[5] 5875 MHz – 5925 MHz für Verkehrssicherheitsanwendungen (EU) 2020/1426

[6] Vehicle-to-Infrastructure (V2I) bezeichnet die Kommunikationen zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur. Unter Vehicle-to-Vehicle (V2V) versteht man die drahtlose Kommunikationen zwischen Fahrzeugen untereinander.

[7] Unter „Intelligent Transportation Systems“ (ITS) oder Verkehrstelematik versteht man die Erfassung, Übermittlung, Verarbeitung und Nutzung verkehrsbezogener Daten unter Verwendung von Kommunikationstechnologien.

[8] 5875 – 5925 MHz (EU) 2020/1426 und 5855 – 5875 (EU) 2019/1345

[9] Vulnerable Road User Awareness meint, dass beispielsweise ein Pedelec selbst direkt Informationen oder Warnungen an andere Verkehrsteilnehmer aussendet.

[10] Collective Perception meint, dass beispielsweise eine Ampel Informationen oder Warnungen bezüglich eines Pedelec aussendet, welches durch eine Kamera mit Objekterkennung identifiziert wurde.