Empfehlungen zur UNECE Regelung Nr. 158 für Rückfahrassistenzsysteme für N2/N3- und M2/M3-Fahrzeuge

Beschluss vom 25.10.2021 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik

Leitsatz

Die in der aktuellen UNECE-Regelung Nr. 158[1] für Rückfahrassistenz-einrichtungen vorgesehenen Anforderungen sind nicht ausreichend, um die Sicherheit von ungeschützten Verkehrs­teilnehmern bei Rückwärtsfahren oder Rangieren für N2/N3- und M2/M3-Fahrzeuge (nicht transporterbasiert) sowie für Anhängefahrzeuge sicherzustellen.

Beschluss (N2/N3- und M2/M3- Fahrzeuge)

Wenn der rückwärtige Bereich nicht ausreichend eingesehen werden kann, soll grundsätzlich ein Kamera Monitor System (KMS) in Verbindung mit einer sensorischen Überwachung eingesetzt werden.

  • Die in der UNECE-Regelung vorgesehenen Erfassungsbereiche sind sowohl für KMS als auch für die sensorische Überwachung zu eng begrenzt.
  • Es sollten folgende Mindesterfassungsbereiche abgedeckt werden:
    • Sichtfeld KMS, Breite: mindestens 1,5 m über Fahrzeugbreite hinausreichend, Tiefe: 9 m
    • Überwachungsbereich Sensorik, Breite 0,75 m über Fahrzeugbreite hinausreichend, Tiefe: 5 m
  • Insbesondere für Nutzfahrzeuge sollen die Regelungen auch für die Fahrzeugklasse der Anhängefahrzeuge gelten.
  • Für die Zukunft sind normative Regelungen für Schnittstellen zwischen Zug- und Anhängefahrzeugen unverzichtbar. Entsprechende Normungsvorhaben sollten deshalb kurzfristig initiiert werden.
  • Bis solche Regelungen greifen, soll eine sensorische Überwachung des Rückfahrbereiches mit einer für den Fahrer gut erkennbaren optischen Warnung am Anhängefahrzeug, z. B. über das Blinken der dortigen Begrenzungsleuchten umgesetzt werden.
  • In einem weiteren Schritt soll zukünftig eine selbsttätige Bremsung bei Identifikation von Hindernissen erfolgen.

Erläuterung

Der DVR begrüßt die im Rahmen der General Safety Regulation 2019[2] vorgesehene verpflichtende Einführung von Rückfahrassistenz­einrichtungen an Kraftfahrzeugen.

Die in der aktuellen UNECE-Regelung Nr. 158 hierfür vorge­sehenen Anforderungen sind aus Sicht des DVR für N2/N3- und M2/M3-Fahrzeuge jedoch noch nicht ausreichend, um die Sicherheit von ungeschützten Verkehrs­teilnehmern beim Rückwärtsfahren oder Rangieren sicherzustellen. Eine zukünftige Regelung Nr. 158 muss zwingend auch die Fahrzeugkategorie O berücksichtigen.

Die Zielstellung sollte darin bestehen, Rückfahrassistenzsysteme so zu gestalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere ungeschützter Personen, vermieden wird und damit im Regelfall kein Einweiser erforderlich ist.

Wenn der rückwärtige Bereich nichtausreichend eingesehen werden kann, sollte grundsätzlich ein Kamera Monitor System (KMS) in Verbindung mit einer sensorischen Überwachung eingesetzt werden. Dies erscheint aus den folgenden Gründen sinnvoll:

  • Für ein sicheres Fahren vertraut der Mensch in erster Linie seiner visuellen Wahrnehmung. Durch die Darstellung auf dem Monitor kann er Hindernisse selbst einschätzen und bewerten.
  • Das gleichzeitige Im-Blick-Behalten mehrerer Spiegel erscheint aus ergonomischen Gründen problematisch.
  • Geeignete sensorische Überwachungssysteme erreichen eine hohe Detektionszuverlässigkeit. Sie sind permanent aktiv und gewährleisten eine hohe Reaktionsschnelligkeit.

Allerdings haben alle bisher bekannten Sensortechnologien auch Vor- und Nachteile, was deren Systemgrenzen sowie die Erfassung kritischer Objekte betrifft. Eine absolut fehlerfreie Erkennung kann bisher nicht gewährleistet werden.

Vor diesem Hintergrund erachtet der DVR eine Kombination von KMS zur Sicht und Sensorik als Warnsystem als notwendig. Durch diese Kombination ergänzen sich Mensch und Technik sinnvoll und es wird insgesamt ein höheres Sicherheitsniveau für das Assistenzsystem erreicht.

Die in der UNECE-Regelung vorgesehenen Erfassungsbereiche sind sowohl für KMS als auch für die sensorische Überwachung zu eng begrenzt. Bei den zu erwartenden Hindernissen handelt es sich in aller Regel um dynamische Objekte. Aus diesem Grund sollte der Überwachungs­bereich so bemessen sein, dass auch bei einer Annäherung von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden rechtzeitig reagiert und das Fahrzeug nach Möglichkeit angehalten werden kann. Auch das Sichtfeld des KMS muss über die seitliche Fahrzeugkontur hinausreichen. Systeme mit einem entsprechenden Erfassungswinkel sind heute bereits Stand der Technik.

Es sollten folgende Mindesterfassungsbereiche abgedeckt werden:

  • Sichtfeld KMS, Breite: mindestens 1,5 m über Fahrzeugbreite hinausreichend, Tiefe: 9 m
  • Überwachungsbereich Sensorik, Breite 0,75 m über Fahrzeugbreite hinausreichend, Tiefe: 5 m

Mit den erweiterten Erfassungsbereichen soll der Dynamik der zu erwartenden Hindernisse Rechnung getragen werden.

Zur Überprüfung des Sicht- bzw. Sensorerfassungsbereiches sieht der Entwurf der Regelung ausschließlich Tests mit statischen Prüfkörpern vor. Zukünftig sollten dynamische Prüfszenarien, z. B. angelehnt an Testmethoden für Fußgängernotbrems-Assistenzsysteme, ergänzt werden.

Im Hinblick auf die bei der Prüfung der Systeme verwendeten Prüfkörper besteht aus Sicht des DVR weiterer Forschungsbedarf. Welche kritischen Objekte im Einzelnen zu betrachten sind, hängt in starkem Maße von der eingesetzten Technologie ab. Dabei sind neben der Geometrie auch die Oberflächenbeschaffenheit und die Materialeigenschaften zu berücksichtigen.

Insbesondere für Nutzfahrzeuge erscheint es nicht sinnvoll, die Fahrzeugklasse der Anhängefahrzeuge generell von der Regelung auszuschließen. Die Mehrzahl dieser Fahrzeuge nutzt Anhänger für den Transport. Eine Ausrüstung von Sattelzugmaschinen beispielweise macht wenig Sinn, da in der Regel immer mit einem Auflieger gefahren wird. Gerade beim Rückwärtsfahren mit Anhängerfahrzeugen besteht ein erhöhtes Gefährdungspotential.

Für Systeme in Anhängern stellt die Kompatibilität der Schnittstelle zu im Wechselbetrieb gekuppelten Zugfahrzeugen eine besondere Herausforderung dar. Für die Zukunft sind normative Regelungen für entsprechende Schnittstellen unverzichtbar. Entsprechende Normungsvorhaben sollten deshalb kurzfristig initiiert werden. Bis solche Regelungen greifen, schlagen wir als Lösung nach derzeitigem Stand zumindest eine sensorische Überwachung des Rückfahrbereiches mit einer für den Fahrer gut erkennbaren optischen Warnung am Anhängefahrzeug, z. B. über das Blinken der Begrenzungsleuchten vor.

Bei einer weiteren Überarbeitung der Regelung soll der Aspekt einer selbsttätigen Bremsung durch das Assistenzsystem bei Erfassung von Hindernissen berücksichtigt werden. Wie Studienergebnisse[3] zeigen, können durch die automatische Reaktion das Fahrpersonal entlastet und die Sicherheit erhöht werden.  

 

gez.
Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident


[1] Tracking of amendments to UN Regulation No. 158 (Reversing motion); Submitted by the Informal Working Group on Awareness, Informal document GRSG-121-09 of Vulnerable Road Users Proximity (121st GRSG, 12-16 April 2021)

[2] Verordnung (EU) 2019/2144 des europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern

[3] Forschungsbericht FS 03: Fahrerassistenzsysteme – Ermittlung des Sicherheitspotenzials auf Basis des Schadensgeschehens der Deutschen Versicherer; Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.; 09/2011