Erhebung von Felddaten zur Verbesserung der Verkehrssicherheit von Fahrzeugen im Rahmen von Pilotprojekten

Vorstandsbeschluss vom 22.04.2024 auf Basis der Empfehlungen des Vor-standsausschusses Fahrzeugtechnik

Empfehlungen

Zusätzlich zu bestehenden gesetzlichen Regelungen sollen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Nutzung von Felddaten die folgenden Empfehlungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) e.V. durch die Bundesregierung umgesetzt werden:

  • Zum prospektiven und retrospektiven Nachweis des Potenzials zur Verbesserung der Verkehrssicherheit von automatisierten Fahrzeugen soll die Möglichkeit bestehen, projekt- oder bedarfsorientiert nicht-personen- und -unternehmensbeziehbare Fahrzeug- und Verkehrsdaten aufzuzeichnen und zu analysieren.
  • Dazu sollten von der Bundesregierung Pilotprojekte unter freiwilliger Beteiligung ermöglicht werden, welche das digitale Ökosystem zu Aufzeichnung, Bereitstellung und Analyse der Fahrzeug- und Verkehrsdaten und der entsprechenden Forschung, Entwicklung sowie den prospektiven Analysen und retrospektiven Nachweisen der Potenziale zur Verbesserung der Verkehrssicherheit demonstrieren2:
  • Projektbausteine u.a. von „GAIA-X 4 Future Mobility“, der Mobilithek sowie des Mobility Data Space (MDS) sollten zur Realisierung der Datenbereitstellung genutzt werden – dies schafft darüber hinaus auch eine Grundlage für ein „Monitoring in Use“.
  • Im Projektfortschritt sollte fortlaufend überprüft werden, welche fahrzeugeigenen und fahrzeugfremden Daten bzw. welche Kombination aus diesen für die Beschreibung von Fahrmanövern geeignet und erforderlich sind, um Kosten und Nutzen der Datensammlung miteinander abzugleichen.
  • Die Ergebnisse der Pilotprojekte sollten zu einem frühen Zeitpunkt
  • in die Evaluierung des Gesetzes zum autonomen Fahren (Änderung des StVG 2021),
  • in die Ausgestaltung der besonderen Anforderungen an automatisierte Fahrzeuge entsprechend der Revision (EU) 2018/858, eingebracht werden.
  • Für die dazu notwendige Ausgestaltung eines offenen und transparenten digitalen Ökosystems kann die Umsetzung des EU Data Acts einen entsprechenden Rechtsrahmen schaffen. 
  • Die Bundesregierung sollte sich dabei auch für eine europäische Harmonisierung einsetzen, um eine einheitliche, europäische Gesetzgebung herbeizuführen.2 
  • Nicht-personen- und- unternehmensbeziehbare Fahrzeug- und Verkehrsdaten sind projektbezogen berechtigten Dritten, wie z.B. Hochschulen, Behörden, Unfallforschern, Technischen Diensten, Automobilentwickler, für die Zwecke von Forschung, Entwicklung und Nachweis des Potenzials zur Verbesserung der Verkehrssicherheit zu nicht-diskriminierenden Bedingungen zugänglich zu machen.

Erläuterungen

Für automatisierte Kraftfahrzeuge, die ihre Genehmigung auf Basis der Verordnung zur Genehmigung und zum Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion in festgelegten Betriebsbereichen (Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung - AFGBV) oder der Verordnung (EU) 2022/1426 erhalten haben, muss der Zugriff auf ausgewählte Fahrzeugdaten bereits heute durch hoheitliche Stellen möglich sein. So regelt § 1g Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit § 15 AFGBV, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs mit autonomer Fahrfunktion verpflichtet ist, ausgewählte Daten anlassbezogen zu speichern und auf Verlangen dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zur Verfügung zu stellen. Weiterhin ist das KBA berechtigt, die nicht-personenbezogenen Daten für verkehrsbezogene Gemeinwohlzwecke, insbesondere zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung sowie zum Zweck der Unfallforschung im Straßenverkehr zugänglich zu machen. 

Die Entwicklung sowie der Nachweis der Leistungsfähigkeit automatisierter Fahrsysteme sind hoch komplex. Auch können unter anderem zukünftige Änderungen der Straßenverkehrsordnung oder des Verkehrsgeschehens bei der Entwicklung und Zulassung solcher Systeme noch nicht berücksichtigt werden. Daher werden konventionelle Methoden für die Entwicklung, Begutachtung und Zulassung von automatisierten Fahrzeugen künftig nicht mehr ausreichen. Für eine umfassende Evaluierung der Verkehrssicherheit und auch des Umweltschutzes ist eine Erhebung und Analyse von (nicht-personenbeziehbaren) Fahrzeug- und Verkehrsdaten im Feld notwendig (z.B. Umfeldsensordaten von relevanten Verkehrssituationen, auch im Normalbetrieb). 

Diese Fahrzeug- und Verkehrsdaten sollten projektbezogen von berechtigen Dritten für Forschung, Entwicklung und Begutachtung von automatisierten Fahrzeugsystemen genutzt werden können, insbesondere für: 

  • prospektive Analysen zur Abschätzung der Erhöhung der Verkehrssicherheit vor Inverkehrbringung, 
  • retrospektive Analysen zum Nachweis der Erhöhung der Verkehrssicherheit nach Inverkehrbringung (z.B. bei der Fahrzeugentwicklung oder der Evaluierung von Gesetzen), 
  • Ableitung von Innovationen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. 

Datenschutzrechtlich ist sicherzustellen, dass die Daten zum Zweck der Forschung und Entwicklung tatsächlich weder personenbezogen noch personenbeziehbar sind. Hierzu sind geeignete Maßnahmen der Anonymisierung durchzuführen. Dies gilt vor allem für die Umsetzung der Pilotprojekte.

Soweit weder personenbezogene noch personenbeziehbare Daten erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet werden, sind weitere Datenschutzbestimmungen nicht einschlägig

Begriffserklärungen

Unter den Begriffen des automatisierten und autonomen Fahrens werden nach dem vereinfachten Modell zur Nutzerkommunikation der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die folgenden drei Modi verstanden:

  • Assistierter Modus: Nach Aktivierung unterstützt das System die Fahrenden permanent, in dem es das Umfeld überwacht und falls erforderlich unterstützend eingegriffen wird (z.B. Notbrems- oder Spurhalteassistenten).
  • Automatisierter Modus: Dieser beschreibt das selbstständige Fahren des Fahrzeuges für bestimmte Fahraufgaben. Die Fahrerenden können sich währenddessen anderen Aktivitäten widmen, müssen aber in der Lage sein, nach Aufforderung durch das Fahrzeug, die Fahraufgabe wieder zu übernehmen. Ein Beispiel hierfür stellt der Staupilot auf Autobahnen dar. Dieser Modus entspricht dem SAE-Level 3.
  • Autonomer Modus: Das Fahrzeug fährt dauerhaft selbstständig ohne Eingriff der menschlichen Insassen. Die Funktionen sind also „autonom“ bei der Ausführung der Fahraufgabe. Auf ein Lenkrad kann in diesen Fahrzeugen verzichtet werden. Dieser Modus entspricht den SAE-Leveln 4 und 5.

Der Mobility Data Space (MDS) ist eine dezentral vernetzte Infrastruktur für den souveränen Datenaustausch zwischen verschiedenen Akteuren. Aufgrund der Architektur verbleiben die Daten beim Dateneigentümer, so dass dieser die Bedingungen für die Nutzung jederzeit selbst festlegen kann. Über die Infrastruktur können die Nutzungsrichtlinien abgesichert werden. Zudem ist der Mobility Data Space seit Mitte 2023 mit der Mobilithek verbunden. Die fairen Spielregeln werden durch einen unabhängigen Akteur als Mehrheitsgesellschafter abgesichert. Der Mobility Data Space stützt sich auf die aktuell entstehenden Standards im Bereich Datenräume und prägt diese maßgeblich mit.

Gaia-X 4 Future Mobility ist eine vom BMWK geförderte Projektfamilie, deren Schwerpunkt auf den Themen der verteilten Dateninfrastruktur sowie datenbasierten Anwendungen und Services liegt. Diese Projektfamilie ist in der Domäne Mobilität des deutschen Gaia-X-Hubs angesiedelt. Mit Gaia-X entsteht ein Ökosystem aus vernetzten Datenräumen, in welchem Daten durch feste Standards und offene Schnittstellen miteinander verknüpft, sicher geteilt und einfach zwischen verschiedenen Systemen portiert werden können.

Die Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung (AFGBV) trat 2021 in Kraft und schuf den Rechtsrahmen für den Betrieb autonomer Fahrzeuge bis SAE-Level 4 auf deutschen Straßen.

Mit der 2023 überarbeiteten, europäischen ITS-Richtlinie 2010/40/EU sollen in den EU-Staaten in den kommenden Jahren Verkehrsdaten in digitaler Form verfügbar gemacht und zur Steuerung automatisierter Fahrzeuge genutzt werden können. Dies umfasst u. a. sicherheitsrelevante Daten, wie Informationen über Baustellen, Straßensperrungen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die Richtlinie soll auch den Datenaustausch zwischen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur erleichtern.

Die Anfang 2024 in Kraft getretene europäische „Verordnung über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung“ (kurz: Data Act) enthält Bestimmungen, welche die Nutzung von Daten verbessern sollen. Der Data Act enthält Vorschrift hinsichtlich der Datenweitergabe von Unternehmen an Verbraucher sowie zwischen Unternehmen, beschreibt Pflichten der Dateninhaber und regelt die Bereitstellung von Daten für öffentliche Stellen.

Mit der Durchführungsverordnung (EU) 2022/1426 legt die EU einheitliche Verfahren und technische Spezifikationen für die Typgenehmigung für Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen SAE-Level 4) in EU-Kleinserien fest.

Der Expertenkreis Transformation der Automobilwirtschaft (ETA) wurde vom BMWK ins Leben gerufen und besteht aus 13 Mitgliedern, die von Bundesminister Dr. Robert Habeck berufen wurden. Er soll ziel- und adressatenorientierte Handlungsempfehlungen an die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln und die Herausforderungen der Automobilwirtschaft adressieren. U. a. soll schwerpunktmäßig das Thema „Smart Cars“ mit den Aspekten Software, Digitalisierung und Automatisierung bearbeitet werden.

Der Expertenbeirat Klimaschutz in der Mobilität (EKM) wurde vom BMDV ins Leben gerufen und besteht aus 19 Mitgliedern. Er soll Handlungsempfehlungen an die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln und die Umsetzung eines verkehrsträgerübergreifenden Klimaschutzes begleiten. Der Expertenbeirat befasst sich u. a. mit dem Schwerpunktthema Digitalisierungspotenziale. Beide Expertenkreise befinden sich miteinander im Austausch.

Gez.

Manfred Wirsch
Präsident


[1] Beispielsweise ein Pilotprojekt, welches für ausgewählte Fahrmanöver (u.a. im Baustellenbereich) von Nfz auf Autobahnen Fahrzeug- und Verkehrsdaten erhebt (siehe dazu DVR-Beschluss „Vermeidung von Lkw-Auffahrunfällen auf fahrbare Absperrtafeln vor Arbeitsstellen auf Autobahnen“ vom 27.04.2023)

[2] Bspw. AFGBV (Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung), Verordnung (EU) 2022/1426, EU ITS-Richtline ((EU) 2023/2661 zur Änderung der Richtlinie 2010/40/EU), EU Data Act (Verordnung (EU) 2023/2854) sowie die Expertenkreise „Transformation der Automobilwirtschaft“ des BMWK und „Klimaschutz in der Mobilität“ des BMDV