Beschluss

Standards zur Verkehrsunfallaufnahme

Vorstandsbeschluss vom 28.04.2025 auf Basis der Empfehlungen des Vor-standsausschusses Verkehrsinfrastruktur unter Mitwirkung der Vorstandsaus-schüsse Fahrzeugtechnik und Verkehrsmedizin
13.05.2025
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Beschluss

Standards zur Verkehrsunfallaufnahme

Vorstandsbeschluss vom 28.04.2025 auf Basis der Empfehlungen des Vor-standsausschusses Verkehrsinfrastruktur unter Mitwirkung der Vorstandsaus-schüsse Fahrzeugtechnik und Verkehrsmedizin

Vorstandsbeschluss vom 28.04.2025 auf Basis der Empfehlungen des Vor-standsausschusses Verkehrsinfrastruktur unter Mitwirkung der Vorstandsaus-schüsse Fahrzeugtechnik und Verkehrsmedizin

Einführung

Für die Verhinderung von Verkehrsunfällen – und ultimativ die Erfüllung der Vision Zero - ist es unabdingbar, die Ursachen, Verläufe und Folgen von Verkehrsunfällen zu kennen sowie deren geographische und zeitliche Verteilung zu erfassen. Durch eine stärkere systemati-sierte Aufnahme, Ermittlung und Auswertung der Unfallumstände und -ursachen ist die not-wendige Präventionsarbeit weiter zu verbessern. Ziel einer verbesserten Verkehrsunfallauf-nahme ist daher, das zukünftige Verkehrsunfallgeschehen positiv zu beeinflussen und Fol-gen für Mensch und Gesellschaft zu reduzieren. Mit den Forderungen des DVR sollen Stan-dards zur Verkehrsunfallaufnahme für länderübergreifend einheitliche Vorgehensweisen und Qualitätsstandards erreicht werden.

Empfehlungen / Forderungen
Vor diesem Hintergrund empfiehlt / fordert der DVR:

1. Die Polizeien brauchen mehr qualifiziertes Personal für den Verkehrsbereich. Die Be-reitstellung von technischen und personellen Ressourcen für die Unfallaufnahme, auch in Bezug auf einfache Sachschadenunfälle, ist dringend erforderlich.

2. Eine erfolgreiche Unfallprävention beginnt bei der Analyse. Dafür sind umfassende Datengrundlagen unabdingbar. Zur weiteren Differenzierung der Unfallfolgen ist in-nerhalb der Kategorie "Schwerverletzte" in der deutschen Unfallstatistik die Unterka-tegorie „potenziell lebensgefährlich Verletzte (MAIS 3+)“ zu erheben und durch den Verletzungsschweregrad „MAIS 3+“ zu definieren. Zusätzlich ist eine Rechtsgrund-lage für die Datenübermittlung der Krankenhäuser zum Schweregrad der Verletzun-gen an die Polizei erforderlich.

3. Bei Unfällen mit Todesfolge ist grundsätzlich eine rechtsmedizinische Untersuchung bei allen Unfallbeteiligten vorzunehmen. Hierbei sind sämtliche Tatumstände des Un-fallgeschehens zu berücksichtigen. Zusätzlich muss die gesetzliche Grundlage ge-schaffen werden, um bei jeder Unfallaufnahme alle Unfallbeteiligten verdachtsunab-hängig auf Alkohol, Cannabis und sonstige Drogen und – soweit möglich – im Ver-dachtsfall auf bewusstseins- und/oder reaktionsbeeinträchtigenden Medikamentenge-brauch testen sowie Fahrzeuge auf ihren verkehrssicheren Zustand untersuchen zu können.

4. Alle der Polizei gemeldeten Verkehrsunfälle müssen weiterhin aufgenommen, gründ-lich dokumentiert und untersucht werden sowie in die Statistik einfließen, um verläss-lichere Aussagen zu den Unfallursachen treffen zu können und die Grundlagen für die Analyse zu verbessern.

5. Zum Zwecke der Unfallaufnahme und -analyse ist die Polizei der Länder und ggf. be-hördlich beauftragte Sachverständige in die Lage zu versetzen, gesetzlich definierte Fahr- und Fahrzeugdaten1 über eine standardisierte elektronische Fahrzeugschnitt-stelle in einem auswertbaren Datenformat auslesen zu können, sofern über den Data Act und DSGVO-konform möglich. Zur zweifelfreien Zuordnung verschiedener Unfal-laufzeichnungen wird das Bundesverkehrsministerium aufgefordert, sich auf europäi-scher Ebene dafür einzusetzen, das Speichern und Auslesen aller gesetzlich gefor-derten unfallrelevanter Daten mit Ort, Datum und Zeitpunkt des Ereignisses im EDR sowie im DSSAD zu ermöglichen (siehe Stellungnahme des DVR vom 28.10.20202.)
Liegt eine entsprechende Zustimmung des Fahrzeughalters zur Datennutzung ge-mäß des europäischen „Data Acts“ (Verordnung (EU) 2023/2854) vor, sind zusätzlich zu den EDR-Daten die im vernetzten Fahrzeug generierten Daten berechtigten Drit-ten DSGVO-konform zur Verfügung zu stellen und Zugriff auf sonstige Datenerfas-sungssysteme zu ermöglichen.

6. Die Aussagekraft der Unfallstatistik kann mit weiteren Datenerhebung signifikant ver-bessert werden. Durch Aufgreifen der Ergebnisse des Projektes „Erhebung bundes-einheitlicher Merkmale von Straßenverkehrsunfällen (EBUS)“ der FGSV kann eine Objektivierung, Präzisierung und Straffung der Unfallstatistik erfolgen.

7. Unfälle, die auf internistische Notfälle zurückzuführen sind, gehen nicht in die Stra-ßenverkehrsunfallstatistik ein. Sie sollten jedoch in einer gesonderten Statistik erfasst und ausgewiesen werden, um in der Präventionsarbeit vermehrt auf diese Gefahr hinweisen zu können.

8. Unfallkommissionen (UKo) haben entsprechend der VwV-StVO bundesweit die Auf-gabe, Unfallhäufungen zu erkennen, zu bewerten und Maßnahmen zur Beseitigung zu beschließen. Die Länder und der Bund werden aufgefordert, das M UKo3 einheit-lich als Basis für ihre Erlasse heranzuziehen.

Erläuterungen

Zu 1. Zur Bewältigung einer umfassenden Aufnahme und Dokumentation aller Verkehrsunfälle ist speziell geschultes und erfahrenes Personal in ausreichende Anzahl erforderlich. Insgesamt sprechen zudem Argumente dafür, spezialisierte Verkehrspolizeidienststellen einzurichten, um spezifische lokale Herausforderungen auf diesem Gebiet besser zu bewältigen. Eine ent-sprechende materielle Ausstattung ist unverzichtbar, um diese Aufgaben zu erfüllen.

Zu 2. Die Polizei registrierte im Jahr 2024 gut 2,5 Millionen Verkehrsunfälle. 2,14 Millionen Unfälle führten zu reinen Sachschäden, bei 289.179 Unfällen wurden Menschen verletzt. 2.780 Menschen kamen bei Verkehrsunfällen ums Leben4.
Aufgrund der großen Anzahl der Unfälle, aber auch aufgrund der unterschiedlichen rechtli-chen Konsequenzen daraus, können nicht alle Unfälle mit gleicher Akribie von der Polizei aufgenommen werden. Die Maßnahmen der Polizei zur Spurensicherung und Dokumenta-tion des Unfallgeschehens richten sich nach der Schwere des Unfalls.
Sachschadensunfälle sind i.d.R. fahrlässige Sachbeschädigungen, die nach dem StGB nicht strafbar, sondern vorrangig haftungsrechtlich und als Ordnungswidrigkeit zu beurteilen sind. Bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten besteht nach § 47 OWiG ein Ermessenspiel-raum. Anderes gilt, wenn durch einen Unfall Personenschäden entstehen. Zwar kann man bei Verkehrsunfällen grundsätzlich von einer fahrlässigen Verursachung ausgehen, aber die fahrlässige Körperverletzung ist gem. § 229 StGB eine Straftat, erst recht die fahrlässige Tö-tung gem. § 222 StGB. Der Unfallort ist somit im kriminalistischen Sinne ein Tatort.
Das Legalitätsprinzip verpflichtet Strafverfolgungsbehörden, insbesondere Staatsanwalt-schaft und Polizei, bei einem hinreichenden Anfangsverdacht einer Straftat tätig zu werden und Ermittlungen einzuleiten. Die wichtigsten Normen, die diese Pflicht regeln, sind § 152 Abs. 2, § 160 und § 163 der Strafprozessordnung. 

Die Schwere der Verletzung von Personen bestimmt über die Einteilung in Unfallkategorien (UK):
UK 1: Unfall mit Getöteten. Als Getötete gelten Verunglückte, die innerhalb von 30 Tagen nach einem Verkehrsunfall an den Unfallfolgen versterben.
UK 2: Unfall mit Schwerverletzten. Als Schwerverletzte gelten Verunglückte, bei denen durch die Unfalleinwirkung ein Krankenhausaufenthalt von mehr als 24 Stunden erforderlich war und die 30 Tage nach dem Unfall noch am Leben waren.
UK 3: Unfall mit Leichtverletzten. Als Leichtverletzte gelten Verunglückte, bei denen durch die Unfalleinwirkung ärztliche Behandlung oder ein Krankenhausaufenthalt von unter 24 Stunden erforderlich war.
Das höchste Rechtsgut ist das Leben. Wie bei anderen Tötungsdelikten (Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge u.a.) ist die Polizei bei Verkehrsunfällen mit tödlichem Aus-gang genauso gehalten, alles zu tun, um die Aufklärung einer Straftat zu ermöglichen.
Während die Polizei in NRW für diese herausragenden Verkehrsunfälle mit Getöteten lan-desweit Unfallaufnahmeteams eingerichtet hat, die mit neuester Technik zur Erfassung des Unfallgeschehens ausgestattet sind, tat sich von Anfang an die Frage auf, wie man mit der Frist von 30 Tagen der UK 1 umgehen soll. Hier wurde die Definition gewählt, dass Unfälle mit Personenschaden, bei denen „mit einem Ableben einer Person zu rechnen ist“ genauso zu erfassen sind, wie Unfälle, bei denen am Unfallort der Tod einer Person festgestellt wird.
Wie zuvor beschrieben, ist der Umfang des Einschreitens der Polizei abhängig vom verletz-ten Rechtsgut. Ein Versterben innerhalb der 30-Tage-Frist indiziert die gleiche Qualität der Aufnahme des Verkehrsunfalls wie bei einem Versterben unmittelbar an der Unfallstelle.
Die Einschätzung der Schwere von Verletzungen erfolgt gegenüber der Polizei meist von Notärzten, wenn sich die Verletzten noch an der Unfallstelle befinden. Die Rettung und Ver-sorgung stehen für alle im Vordergrund, so dass die aufnehmenden Beamten und Beamtin-nen auch bei lebenserhaltenden Maßnahmen unterstützen. Ist die Person bei Eintreffen der Polizei bereits abtransportiert und sind Nachfragen im Krankenhaus erforderlich, stellt sich die Situation anders dar. Hier werden Aussagen zur Verletzungsschwere unter Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht verweigert. Erst mit Ableben der Person bekommt die Polizei wieder Kenntnis, da der Tod nach einem Verkehrsunfall einen „nicht natürlichen Tod“ dar-stellt und die Polizei jetzt in die Ermittlungspflicht kommt, den Tod aufzuklären.

Gem. § 159 StPO besteht „Anzeigepflicht bei Leichenfund und Verdacht auf unnatürlichen Tod.“ Um die erforderlichen Maßnahmen treffen zu können, die sich nach der Schwere der Verletzung richten, benötigt die Polizei die ärztlichen Angaben. Um für Rechtssicherheit zu sorgen, ist hier eine Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung der Krankenhäuser und Arztpraxen an die Polizei zu schaffen. Die Übermittlung sollte dabei elektronisch ermöglicht werden.
Darüber hinaus wird deutlich, dass eine Lücke klafft zwischen der UK 1 und der UK 2. Unter die UK 2 kann schon jemand fallen, der 24 Stunden zur Beobachtung im Krankenhaus ver-bleibt, was sehr häufig bei Kleinkindern als Vorsichtsmaßnahme geschieht, ohne dass sie Verletzungen davongetragen haben.
In die Kategorie 2 fallen aber auch die Menschen, die nach einem Verkehrsunfall im Wach-koma liegen, die Prothesen benötigen oder nicht mehr eigenständig gehen können und im Rollstuhl sitzen. Hierzu werden keine differenzierten Daten erhoben. Um gezielt solche Fol-gen bekämpfen zu können, müssen derartige Unfälle zunächst gesondert erfasst werden. Hier empfiehlt es sich, anderen europäischen Ländern zu folgen und gem. MAIS3+ eine Ka-tegorie einzuführen, die potenziell lebensgefährlich Verletzte erfasst.
In den letzten Jahrzehnten wurde das Rettungswesen und die präklinische Versorgung wei-ter verbessert. Es ist davon auszugehen, dass viele Verletzte, die in früheren Jahren verstar-ben, heute gerettet werden können. Das heißt aber auch, dass die Anzahl der Schwerver-letzten deutlich angestiegen sein dürfte.

Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, über die Folgen von Verkehrsunfällen umfangreich aufgeklärt zu werden. Die Tragik und Tragweite von Unfällen bekommt eine andere Bedeu-tung, wenn man das volle Ausmaß der Personenschäden kennt, und das lässt erwarten, dass mehr Anstrengungen unternommen werden, um solche Unfälle zu vermeiden, wenn präzisere Daten genau zu diesen Unfällen erhoben werden.

Zu 3. Die schwerste denkbare Folge eines Verkehrsunfalls ist der Tod von Unfallbeteiligten. Auch rechtlich ist die Konsequenz für den Unfallverursachenden weitreichend. Die Strafandrohung der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder eine Geld-strafe. Umso wichtiger ist es, alle für den Tathergang entscheidenden Faktoren zu ermitteln.
Hierbei ist es unerlässlich, bei allen Unfallbeteiligten notwendige rechtsmedizinische Unter-suchungen vornehmen zu können. Alkohol, Drogen oder Medikamente führen zu Reaktions-beeinträchtigungen, die ganz wesentlich den Unfallhergang beeinflussen.
Die Wirkung der die Fahrtüchtigkeit beeinflussenden Substanzen ist nicht zwingend augen-scheinlich und kann deswegen häufig nicht äußerlich abgelesen werden. Es fehlen somit In-dizien, die rechtlich eine Blutprobe rechtfertigen. Gerichtsfest ist nur über die Blutprobe der Nachweis zu führen, ob die Person unter Drogen, Alkohol oder Medikamenten stand. Des-wegen ist die rechtliche Voraussetzung für Polizei und Staatsanwaltschaft zu schaffen, ins-besondere bei tödlichen Verkehrsunfällen eine verdachtsunabhängige Untersuchung der Un-fallbeteiligten auf diese Substanzen hin zu ermöglichen.

Zu 4. Seit vielen Jahren wird im Rahmen der Aufgabenkritik auch die Frage diskutiert, inwieweit die Polizei dadurch entlastet werden kann, dass Verkehrsunfälle mit geringen Sachschäden
der Kategorie 55 (Bagatellunfälle) nicht mehr polizeilich aufgenommen werden müssen. In unregelmäßigen Abständen kommt immer wieder die Diskussion auf, inwieweit die Auf-nahme von Verkehrsunfällen tatsächlich eine Aufgabe der Polizei ist bzw. wie die Polizei hiervon, und sei es zumindest nur teilweise, entlastet werden kann. Verstärkt wird dieses Thema aus wirtschaftlichen Interessen immer wieder auch von diversen Unternehmen in die politische Diskussion eingebracht.

Welche Gründe sprechen für eine Aufnahme aller Verkehrsunfälle?

Der Betrug zum Nachteil von Versicherungen, insbesondere die Manipulation von Verkehrs-unfällen, erfreut sich einer immer größer werdenden Beliebtheit. Versicherungsbetrug kostet die gesamte Versicherungsbranche jährlich rund 4 Milliarden Euro. Um diesem Phänomen mit der notwendigen Intensität begegnen zu können, ist es erforderlich, alle Verkehrsunfälle aufzunehmen, da naturgemäß die manipulierten Verkehrsunfälle fast ausschließlich im Sach-schadensbereich angesiedelt sind.
Bei einem Verkehrsunfall handelt es sich nicht nur um einen privaten Rechtsstreit bezüglich der Regulierung von Schadenersatzansprüchen.
Erhält die Polizei Kenntnis von einem Verkehrsunfall, liegt der Anfangsverdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vor, der nach § 163 StPO bzw. nach § 53 OWiG zu erforschen ist. Eine Nichtaufnahme von Verkehrsunfällen widerspricht somit dem gesetzlichen polizeilichen Auftrag.
Die Polizei hat zu prüfen, ob gefahrenabwehrende Maßnahmen zur Sicherung des Verkehrs zu treffen sind. Im Rahmen der Gefahrenabwehr muss zur Vermeidung von Folgeunfällen und der Abwehr sonstiger unfallbedingter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ord-nung der Unfallort aufgesucht werden.

Die von der Polizei erhobenen und notwendigen Unfalldaten sind die Grundlage für die Ar-beit der Unfallkommissionen und damit unabdingbar für die Zusammenarbeit mit den Stra-ßenverkehrs- und Straßenbaubehörden sowie sonstigen betroffenen Organisationen. Bei ei-ner Nichtaufnahme der Bagatellunfälle durch die Polizei stünden ca. 80 % der Verkehrsun-fälle zu diesen Auswertezwecken nicht mehr zur Verfügung.
Mit der polizeilichen Verkehrsüberwachung werden im Interesse der Verkehrssicherheit auch Verkehrsordnungswidrigkeiten verfolgt, die noch zu keiner konkreten Gefährdung geführt haben. Bei Verkehrsunfällen ist dagegen die abstrakte Gefährdung einer Verkehrsordnungswidrigkeit realisiert, d. h. es ist zu einer Schädigung gekommen. In diesen Fällen auf eine Ahndung zu verzichten, dürfte die allgemeine polizeiliche Verkehrsüberwachung fragwürdig erscheinen lassen.
Zur Erforschung und Ahndung/Verhütung von Verkehrsstraftaten wie z.B. Trunkenheit im Verkehr, Drogeneinfluss der Fahrzeugführenden, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Fahren ohne Versicherungsschutz, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, aber auch das Erkennen von An-haltspunkten des Betrugs zum Nachteil von Versicherungen sowie allgemeine Kriminalitäts-felder (so konnte z. B. in Sachsen-Anhalt anlässlich einer Verkehrsunfallaufnahme ein Tö-tungsdelikt aufgeklärt werden) sowie der Feststellung ungeeigneter Fahrerlaubnisinhaber ist die polizeiliche Unfallaufnahme unabhängig von der Schadenshöhe unabdingbar.

Nicht zuletzt wird stets gefordert, die Kundenorientierung des „Dienstleistungsunternehmens Polizei“ zu verbessern. Es gibt wohl keinen polizeilichen Sachverhalt, bei dem so eindeutig die Leistung der Polizei von allen Beteiligten nachgefragt wird. Schon aus diesem Grund verbietet es sich, ausgerechnet das „Produkt“, das am stärksten und häufigsten von Bürgerin-nen und Bürgern nachgefragt wird, nicht mehr anzubieten.
Für die Wahrung der Rechtsposition von Unfallbeteiligten zur Sicherung zivil-, arbeits- und sozialrechtlicher Ansprüche sind deshalb alle Verkehrsunfälle durch die Polizei aufzuneh-men.

Es bleibt somit festzuhalten:
• Die Analyse der Rechtslage belegt, dass die Verkehrsunfallaufnahme originäre Aufgabe der Polizei ist.
• Die Verkehrsunfallaufnahme vor Ort ist grundsätzlich zur Feststellung von Gefahren, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten erforderlich.
• Ein Rückzug der Polizei aus der Verkehrsunfallaufnahme begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken und stellt damit kein geeignetes Mittel zur Aufgabenentlastung der Polizei dar.
• Die Unfallaufnahme und –auswertung soll im Interesse eines effizienten Ressourcen-einsatzes mittels elektronischer Aufnahmesysteme und rationeller Auswerteverfahren (z.B. EUSKa) erfolgen.
• Zur Vermeidung redundanter Erhebungen sollten die Verkehrsunfalldaten per Daten-austausch weiterverarbeitenden Dienststellen zur Verfügung zu stellen sein.
• Die für die Verkehrsunfallanalyse und Forschung zu erhebenden wichtigen Unfallda-ten sind aktuell zu überprüfen und ggf. anzupassen (EBUS).
Erfasst werden nach § 1 des Gesetzes über die Straßenverkehrsunfallstatistik nur Unfälle von zu Fuß Gehenden „infolge des Fahrverkehrs“. Verunglückte im Fußverkehr (ohne inter-nistische Ursachen) werden zurzeit nicht in die Unfallstatistik aufgenommen. Dass Stürze vor allem älterer Menschen schwere Verletzungsfolgen haben können, ist von häuslichen Unfäl-en bekannt. Im teilweise vergleichbaren Radverkehr nimmt der Anteil der Alleinunfälle an den polizeilich bekanntgewordenen Unfällen seit Jahren zu und hat sogar bei den Todesfällen einen Anteil von 30 % erreicht. Häufig sind Fahrbahnschäden eine Unfallursache. Das dürfte in Form von Mängeln und Schäden von Gehwegen auch auf den Fußverkehr zutreffen.

Zu 5. Alle Möglichkeiten zur Aufklärung des Unfallherganges müssen genutzt werden. Zur Auswer-tung digitaler Daten aus Fahrzeugen, wie z. B. Informationen aus dem Autoschlüssel, der In-fotainment-Anlage und dem Event Data Recorder (EDR) oder auch aus mitgeführten Smart-phones sind dafür zu nutzen. Der Nutzbarmachung dieser Daten kommt für die Strafrechts-pflege, zur Gewinnung neuer Präventionsansätze und für den Opferschutz schon heute und in Zukunft eine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Um bei möglichen Verkehrsverstößen mittels eines Kraftfahrzeugs mit hoch- oder vollauto-matisierter Fahrfunktion zunächst zwischen der Verantwortung des Fahrenden und der Fahrzeugregelung differenzieren zu können, ist nach § 63a StVG ein „Fahrmodusspeicher“ (Data Storage System for Automated Driving, DSSAD) vorgesehen.
Im Einklang mit geltendem Datenschutzrecht sind mit einem weiteren Datenspeicher Fahr-zeug- und Fahrdaten, Funktionszustände, Umfeld- und Objekterkennungsdaten sowie die Überwachung der Aufmerksamkeit des Sicherheitsfahrers u.a. bei einem Unfall durch einen
„Event Data Recorder“(EDR) aufzuzeichnen.
Zur ereignisbezogenen Datenaufzeichnung hat das EU-Parlament im Rahmen einer Verord-nung über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen bereits Ende 2019 (VO-[EU] 2019/2144) entschieden, dass alle neu zugelassenen Personenkraftwagen unter anderem mit einem solchen EDR ausgerüstet sein müssen.
Weiterhin bieten sich auch Autoschlüssel als Datenquelle zum Fahrzeug und Fahrverhalten an. Damit können die Geschwindigkeit und das Bremsverhalten recherchiert werden.
Vorhandene, mit dem Internet verbundene Infotainment-Anlagen neuerer Fahrzeuge sam-meln Informationen über die Route, die Verkehrslage und das Fahrverhalten des Fahrenden. So lassen sich beispielsweise abrupte Spurwechsel, häufige Geschwindigkeitsüberschreitungen und andere gefährliche Fahrmanöver erkennen. 
Nach einem Unfall oder bei schweren Verkehrsverstößen sollten die gesammelten Daten zur Unterstützung der Strafverfolgung und der Unfallanalyse herangezogen werden. Durch die genaue Rekonstruktion des Fahrverhaltens sowie der unmittelbaren Fahrsituation vor und während eines Unfalls können Verantwortlichkeiten eindeutig bestimmt werden. Dies dient nicht nur der Gerechtigkeit, sondern hat auch eine abschreckende Wirkung auf Drängler oder Raser. Bei verdächtigen Fahrzeugführern können mit fortschrittlichen Fahrerassistenzsystemen zusammenhängende Daten im Falle eines Anfangsverdachts einer Straftat regelmäßig nach den allgemeinen strafprozessualen Eingriffsbefugnissen (§§ 94 ff., 102 ff. StPO) erhoben werden. 
Sofern mögliche Zugangsberechtigungen vom datenbesitzenden Fahrzeugführer bzw. -halter nicht freiwillig her-ausgegeben werden, ist die Entschlüsselung auf technischem Wege durch § 110 StPO gedeckt. Nach dieser Vorschrift steht die Durchsicht der Daten der Staatsanwaltschaft und auf deren Anordnung auch der Polizei zu.

Zu 6. Der von der FGSV (AK 3.8.5 Unfallmerkmale) im Zusammenwirken von Polizei (AG VPA), Forschung (GDV/UdV), Statistik und Straßenbaubehörden sowie Verbänden (DVR/ADAC) verabschiedete Bericht „Erhebung bundeseinheitlicher Merkmale von Straßenverkehrsunfällen (EBUS)“ und den dazu mit der AGVPA 2008 abgestimmten Ergänzungen „Hinweise zur EBUS“ wurde vom AK II der IMK 2010 insbesondere aus Kostengründen nicht umgesetzt.
Mit EBUS war die häufig genannte Unfallursache "Sonstige Fehler beim Fahrzeugführer" durch die Überführung der 89 Unfallursachen in 20 Verhaltensbeschreibungen eliminiert und eine wesentliche Straffung erreicht worden.
Mit der Einführung geschlossener Merkmale der Beschreibung des Unfallverlaufs als Ersatz für die Unfallart könnte zudem die Aussagekraft der Statistik präzisiert werden.

Zu 7. Das Phänomen, dass Unfälle durch sogenannte „internistische Notfälle“ ausgelöst werden, ist allgegenwärtig. Bei einer Vielzahl von Erkrankungen ist davon auszugehen, dass es zu spontanen Bewusstseinseinschränkungen oder Reaktionsminderungen bis hin zur vollkommenen Bewusstlosigkeit kommen kann. Die Ursache für den Unfall ist dann nicht etwa das darauffolgende implizierte Fehlverhalten, sondern eine Folge der Erkrankung. Um ursächlich präventiv damit umgehen zu können, sollte hier eine zielgenaue Statistik erstellt werden - Unfallursache: „internistischer Notfall“.
Aus dem Vorliegen statistischer Daten zu dem Phänomen ergäbe sich als weitere Konse-quenz, die Gesellschaft zu informieren und aufzuklären, welche Auswirkungen die körperli-che Nichteignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges auslöst.

Die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Ver-ordnung - FeV) sagt dazu in § 46 „Entziehung, Beschränkung, Auflagen“:
„(1) Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen.“
Weiß die Person davon, dass einschlägige Erkrankungen vorliegen, fährt trotzdem und es kommt zum Unfall, liegt möglicherweise eine Straftat gem. § 315 c StGB „Gefährdung des Straßenverkehrs“ vor:
„(1) Wer im Straßenverkehr 1. ein Fahrzeug führt, obwohl er … b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen … und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar.“

Eine Erhebung der Zahlen und damit die Herstellung von Transparenz über die Tragweite des Problems kann zu mehr Selbstreflektion von Fahrerlaubnisinhabern und zur Unfallver-meidung beitragen.


Zu 8. Das Verfahren der Örtlichen Unfalluntersuchung wird seit über 40 Jahren praktiziert und fort-geschrieben und ist insbesondere für die Unfallkommissionen das wesentliche Instrument zur Bekämpfung von Unfallhäufungen.
„Die Bekämpfung der Verkehrsunfälle“ im Rahmen der Örtlichen Unfalluntersuchung ist nach VwV-StVO zu § 44 und § 44a Aufgabe der Unfallkommissionen, in denen Straßenverkehrs- und Straßenbaubehörden und die Polizei ständige Mitglieder sind. Unfallkommissionen ha-ben demnach bundesweit die Aufgabe, Unfallhäufungen zu erkennen, zu analysieren und Maßnahmen zu ihrer Beseitigung zu beschließen. Das Spektrum umfasst bauliche, verkehrs-rechtliche und verkehrspolizeiliche Maßnahmen.

Durch gezielte Bekämpfung von Unfallhäufungen kann die Verkehrssicherheit wirkungsvoll verbessert werden.
Die Arbeit der Unfallkommissionen sowie die Grenzwerte für Unfallhäufungen werden durch Ländererlasse bzw. an Autobahnen durch die Autobahn GmbH festgelegt. Dabei gibt es län-derspezifische Unterschiede. Das durch die FGSV erstellte und derzeit in Überarbeitung be-findliche M UKo bietet ein deutschlandweit einheitliches Verfahren zum Umgang mit Unfall-häufungsstellen und sollte daher als Basis für alle Ländererlasse und Regelungen der Auto-bahn GmbH herangezogen werden.


gez.
Manfred Wirsch
Präsident

 


[1] vgl. UN-Regelung Nr. 160
[2] www.dvr.de/politik/beschluesse/stellungnahme-des-dvr-zu-edr-und-dssad
[3] Merkblatt zur Örtlichen Unfalluntersuchung in Unfallkommissionen
[4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Tabellen/unfaelle-verunglueckte-.html
[5] Sonstiger Sachschadensunfall ohne Einwirkung von Alkohol/anderer berauschender Mittel ohne Straftatbestand oder bedeu-tende Ordnungswidrigkeit, unabhängig davon, ob alle Kfz fahrbereit sind/waren.