Sichere Knotenpunkte auf Landstraßen
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Einführung
Im Jahr 2022 kam es auf deutschen Straßen zu 289.672 Verkehrsunfällen mit Personenschaden. Dabei starben 2.788 Personen, mehr als die Hälfte davon (1.593) auf Außerortsstraßen, ohne Autobahnen1. Der Verbesserung der Verkehrssicherheit auf Landstraßen kommt daher eine besondere Bedeutung zu, um das im Verkehrssicherheitsprogramm des Bundes verankerte Ziel der Vision Zero zu unterstützen.
Rund ein Drittel der Unfälle mit Personenschaden auf Landstraßen (36 %) ereignen sich an Knotenpunkten (Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehre und Grundstückszufahrten), der überwiegende Anteil jedoch auf der Strecke (64 %). Die Hauptursache für Streckenunfälle ist nicht angepasste Geschwindigkeit (39 %); die häufigste Unfallart ist das Abkommen von der Fahrbahn nach rechts (48 %) oder links (28 %); mehr als die Hälfte dieser Unfälle sind Alleinunfälle2. Aus diesem Grund hat der DVR am 11.10.2022 im Beschluss zu „Abmilderung der Folgen von Abkommensunfällen auf Landstraßen durch infrastrukturelle Maßnahmen“ entsprechende Empfehlungen abgegeben.
Unfälle an Knotenpunkten auf Landstraßen haben zu über 90 % mehrere Unfallbeteiligte. Die meisten dieser Unfälle (96 %3) geschehen an Kreuzungen/Einmündungen und Grundstückszufahrten, etwa ein Fünftel davon dort, wo Lichtsignalanlagen eigentlich die Verkehrssicherheit sicherstellen sollen. Die Hauptunfallursachen bestehen hier in ungenügendem Sicherheitsabstand, Missachtung der Lichtzeichen oder Verkehrszeichen und Fehler beim Abbiegen nach links. Vier von fünf Unfällen finden aber dort statt, wo keine Lichtsignalanlage die Kreuzung, Einmündung oder Grundstückszufahrt sichert. Hauptursachen sind hier das Nichtbeachten von Vorfahrtszeichen, Fehler beim Abbiegen nach links und ungenügender Sicherheitsabstand2 sowie als vierthäufigste Ursache unangepasste Geschwindigkeit.
Bei 15 % der Personenschadenunfälle an Knotenpunkten auf Landstraßen sind Fahrräder involviert, bei 12 % Krafträder. An Unfällen mit Getöteten sind Kraftradfahrende jedoch zu über 30 % beteiligt, Radfahrende zu 28 %. Die meisten Unfälle mit Beteiligung von Fahrrädern und Krafträdern (rund 90 %) finden an Knotenpunkten ohne Lichtsignalanlage statt. Hauptursachen bei Radverkehrsunfällen mit Todesfolge sind Vorfahrtsmissachtung, bei Krafträdern Vorfahrtsmissachtung und Fehler beim Abbiegen nach links2.
Vor diesem Hintergrund sind vorrangig Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit an nicht signalisierten Kreuzungen und Einmündungen geboten. Aber auch signalgeregelte Knotenpunkte weisen noch deutliches Verbesserungspotenzial auf. Besondere Beachtung sollte die Verbesserung der Sicherheit für Zweiradfahrende (Kraftrad und Fahrrad) finden.
Empfehlungen / Forderungen
Vor diesem Hintergrund empfiehlt / fordert der DVR:
Vor anstehenden Erhaltungsmaßnahmen soll ein Bestandsaudit, insbesondere der Knotenpunkte, nach den Richtlinien für das Sicherheitsaudit von Straßen (RSAS) der FGSV und den zugehörigen Defizittabellen der BASt durchgeführt werden. Vom zu-ständigen Baulastträger soll zudem geprüft werden, ob einfache bauliche Maßnahmen (z. B. Linksabbiegespuren in der Hauptrichtung, Fahrbahnteiler in der Nebenrichtung) zur Verbesserung der Verkehrssicherheit umgesetzt werden können oder ob ein richtlinienkonformer Umbau erforderlich ist.
An Kreuzungen und Einmündungen ohne Lichtsignalanlage muss die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der bevorrechtigten Straße entsprechend der Anfahrsicht-weite aus den untergeordneten Zufahrten beschränkt werden. Das BMDV wird gebeten zu prüfen, ob zur Verbesserung der Verkehrssicherheit die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der bevorrechtigten Straße grundsätzlich an allen Kreuzungen und Einmündungen mit klassifizierten Straßen und verkehrswichtigen Gemeindestraßen auf höchstens 70 km/h beschränkt werden sollte.
Sichthindernisse (z. B. Bäume, Wegweisung) in den freizuhaltenden Sichtdreiecken sind im Rahmen der Verkehrsschau zu beseitigen, temporäre Sichthindernisse (z. B. Bewuchs) auch im Rahmen der Streckenkontrolle. Die Erkennbarkeit des Knotenpunktes aus der Nebenrichtung ist durch die wegweisende Beschilderung, Fahrbahnmarkierungen, Verkehrszeichen und Fahrbahnteiler sicherzustellen.
Zur proaktiven Verbesserung der Verkehrssicherheit gemäß EU-Richtlinie 2019/1936 werden die Straßenbaulastträger aufgefordert, auch die nicht unfallauffälligen Knotenpunkte auf mögliche Sicherheitsdefizite anhand der in den Straßendatenbanken enthaltenen Entwurfsparameter zu überprüfen. Die Überprüfung sollte auf Basis der Richtlinien für die Anlage von Landstraßen (RAL) der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) erfolgen. Sofern die erforderlichen Parameter in den Straßendatenbanken nicht enthalten sind, sollten diese erfasst und eingepflegt werden. Für Aufbau und Pflege der Datenbanken sowie die Prüfung auf Sicherheitsdefizite sind geeignete Strukturen zu schaffen und erforderliche Ressourcen bereitzustellen.
Zur Verbesserung der Verkehrssicherheit unfallauffälliger Kreuzungen und Einmündungen sollte insbesondere der Umbau zu einem Kreisverkehr geprüft werden.
Für den Rad- und Fußverkehr sind alle relevanten Fahr- und Gehbeziehungen zu berücksichtigen und gut erkennbar und mit direkter Führung anzulegen. In komplexen Situationen (z. B. große Kreisverkehrsplätze) ist in der Regel eine entsprechende Wegweisung sinnvoll.
Werden straßenbegleitende Zweirichtungsradwege bevorrechtigt geführt, dann ist der Vorrang des Radverkehrs besonders zu verdeutlichen und die Geschwindigkeit der abbiegenden Kraftfahrzeuge durch geeignete Maßnahmen anzupassen.
Erläuterungen
Zu 1)
Die Richtlinien für die Anlage von Landstraßen4 (RAL 2012) sind seit über zehn Jahren eingeführt – naturgemäß entspricht der Bestand jedoch häufig noch nicht den aktuellen Erkenntnissen an die Gestaltung sicherer Knotenpunkte. Der proaktive Umbau aller Knotenpunkte, die bislang nicht als Unfallhäufungsstelle auffällig waren, ist unrealistisch. Umso wichtiger ist es, dass im Rahmen von Erhaltungsmaßnahmen (z. B. Deckenerneuerung) geprüft wird, ob der Knotenpunkt sicherheitsrelevante Defizite aufweist und die Sicherheit von Knotenpunkten mit einfachen baulichen und verkehrstechnischen Maßnahmen verbessert werden kann. Neben der Überprüfung der Längs- und Querneigung (Entwässerung), der Kreuzungswinkel und Sichtfelder zählen dazu vor allem die Ergänzung von Linksabbiegespuren bzw. Aufstellflächen für Linksabbieger in der Hauptrichtung sowie von Fahrbahnteilern (Tropfen) in der Nebenrichtung. Diese Maßnahmen lassen sich oftmals ohne zusätzlichen Grunderwerb realisieren.
Die Überprüfung sollte als Bestandsaudit nach den Richtlinien für das Sicherheitsaudit von Straßen5 (RSAS) der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) und den zugehörigen Defizittabellen6 erfolgen. Die Tabellen stehen bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) kostenfrei zum Download zur Verfügung.
Bei deutlichen Abweichungen der Knotenpunkform von den Vorgaben der Richtlinie ist ein aufwändiger Komplettumbau unumgänglich. Solche Knotenpunkte sind in der Regel schon unfallauffällig und die Defizite werden von der Unfallkommission adressiert.
Zu 2)
Unfälle beim Einbiegen/Kreuzen (Seitenaufprall) haben häufig sehr schwere Unfallfolgen. Eine ausreichende Anfahrsichtweite ist eine wesentliche Voraussetzung, um Vorrangverstöße an Kreuzungen und Einmündungen ohne LSA zu verhindern. Nach Regelwerk beträgt die erforderliche Sichtweite (Schenkellänge L des Anfahrsichtfeldes) 110 m bei einer Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der übergeordneten Straße auf 70 km/h. Ohne Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit muss die Sichtweite mindestens 200 m betragen.
Vor Kreuzungen und Einmündungen mit LSA wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit immer auf 70 km/h beschränkt. Der DVR bittet das BMDV zu prüfen, ob die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch vor Kreuzungen und Einmündungen ohne LSA grundsätzlich auf 70 km/h beschränkt werden sollte.
Zu 3)
Die Anfahrsichtfelder (ggf. auch Annäherungssichtfelder) müssen von Sichthindernissen (auch Wegweiser) und sichtbehinderndem Bewuchs freigehalten werden. In solchen Sichtfeldern sind nur notwendige verkehrstechnische Einrichtungen wie Lichtmaste, Lichtsignalgeber oder Pfosten von Verkehrszeichen zulässig. Der DVR fordert, dass die Sichtfelder im Rahmen der Verkehrsschau bzw. auch der Streckenkontrolle regelmäßig geprüft und Sichthindernisse umgehend entfernt werden.
Knotenpunkte und die Vorfahrtregelungen sollen aus der Nebenrichtung intuitiv erkennbar und begreifbar sein. Dazu tragen die Vorwegweisung, die Fahrbahnmarkierung (Sperrflächen, Warte- oder Haltlinie), Verkehrszeichen Z 205 bzw. Z 206 und vor allem der Fahrbahnteiler (Tropfen) in der Nebenrichtung entscheidend bei. Wenn die Haltesichtweite in Ausnahmefällen nicht eingehalten werden kann, muss die Vorfahrtregelung vorangekündigt werden. Der DVR fordert, in diesen Fällen auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu beschränken.
Zu 4)
In der EU-Richtlinie 2019/19367 wurde die zuvor rein reaktive Betrachtung der Verkehrssicherheit anhand von Unfallzahlen um eine risikobasierte Bewertung ergänzt, die auf Basis sicherheitsrelevanter Infrastrukturmerkmale auch eine proaktive Sicherheitsbewertung ermöglichen soll.
Die aktuellen Richtlinien für die Anlage von Landstraßen7 (RAL 2012) geben die bauliche Grundform und die Betriebsform (= Knotenpunktart) von Knotenpunkten entsprechend der verkehrlichen Bedeutung der zu verknüpfenden Straßen vor. An plangleichen Kreuzungen und Einmündungen stehen darüber hinaus vier Linksabbiegetypen und sechs Rechtsabbiegetypen zur Verfügung, abhängig von den Entwurfsklassen der zu verknüpfenden Straßen und der Betriebsform des Knotenpunktes (mit/ohne LSA).
Knotenpunkte im Bestand entsprechen den RAL 2012 oftmals noch nicht. Die Sicherheitsdefizite, die sich aus Abweichungen von den Richtlinien ergeben, können heute nicht genau quantifiziert werden. Mit statistischen Methoden lassen sich die Unfallraten bzw. Unfallkostenraten für Knotenpunkte mit unterschiedlichen Merkmalen (z. B. Verkehrsstärken auf der über- und untergeordneten Straße, Abbiegeraten, Schwerverkehrsanteil, Fahrstreifenanordnung und -breite, Fahrbahnteiler, Betriebsform bzw. Vorfahrtregelung) ermitteln.
Die Straßenbaulastträger sind aufgefordert, eine Wissensbasis aufzubauen, die über die Identifizierung lokaler Unfallhäufungsstellen hinausgeht. Nur wenn bekannt ist, welche Merkmalskombinationen sicher bzw. besonders unsicher sind, lassen sich Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit an den Knotenpunkten im Bestand sinnvoll priorisieren.
Zu 5)
Kreisverkehrsplätze weisen deutlich niedrigere Unfallkostenraten auf als Kreuzungen und Einmündungen ohne Lichtsignalanlagen. Aufgrund der niedrigeren Fahrgeschwindigkeit treten insbesondere schwere Verletzungen seltener auf. Trotz des hohen baulichen Aufwandes sollte deshalb an unfallauffälligen Kreuzungen und Einmündungen der Umbau zu einem Kreisverkehrsplatz immer geprüft werden.
Zu 6)
Knotenpunkte sind so zu gestalten, dass eine sichere Führung der durchfahrenden sowie der ein-/abbiegenden und querenden Verkehrsströme gewährleistet ist. Dazu sollen sie für alle Verkehrsarten und aus allen Zufahrten rechtzeitig erkennbar, übersichtlich, begreifbar bezüglich Verkehrsführung und Vorfahrtregelung sowie leicht und sicher befahrbar bzw. begehbar sein.
Straßenbegleitende (Geh- und) Radwege werden regelmäßig als einseitige Zweirichtungsradwege angelegt. Das führt mitunter dazu, dass die Verknüpfung mit dem Radweg einer kreuzenden Straße bzw. die Überleitung auf die Fahrbahn einer Straße ohne straßenbegleitenden Radweg nicht intuitiv verständlich oder auch gar nicht vorgesehen ist. An Kreisverkehrsplätzen wird der Radverkehr u. U. entgegen der Fahrtrichtung der Kreisfahrbahn geführt. Wenn die Radverkehrsführung in komplexen Knoten (oftmals große Kreisverkehrsplätze) bezüglich Verkehrsführung und Vorfahrtregelung nicht erkennbar, übersichtlich oder begreifbar ist, soll eine lokale Wegweisung aufgestellt werden, mit der die Radverkehrsführung verdeutlicht wird.
Zu 7)
An untergeordneten Zufahrten ist es wünschenswert, straßenbegleitende Zweirichtungsradwege bevorrechtigt zu führen, um eine hohe Reisegeschwindigkeit auch für den Radverkehr zu ermöglichen. Wartepflichtige Kfz-Lenkende rechnen oftmals nicht mit Radverkehr aus bei-den Richtungen. Zur Verdeutlichung des Vorrangs des Radverkehrs empfiehlt es sich, die Furt anzuheben (Teilaufpflasterung), rot einzufärben und mit Fahrradpiktogrammen und Richtungspfeilen in beide Richtungen zu versehen.
Auf fahrdynamisch dimensionierte Einmündungsradien, die ein zügiges Abbiegen ermöglichen, sollte verzichtet werden. Die Eckausrundungen sind möglichst klein zu dimensionieren, um die Geschwindigkeit der rechts abbiegenden Kraftfahrzeuge zu begrenzen.
Gez.
Manfred Wirsch
Präsident
1 Verkehrsunfälle 2022, Statistisches Bundesamt 2023
2 Polizeiliche Unfalldaten, Unfälle mit Personenschaden der Jahre 2020 bis 2022 in 12 Bundesländern (BB, BE, BW, HB, HE, HH, MV, NI, NW, TH, SN, ST), n=576.623, davon 133.658 außerorts ohne Autobahnen, Auswertung durch Unfallforschung der Versicherer, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., unveröffentlicht.
3 Die verbleibenden 4 % der Unfälle ereignen sich an Kreisverkehrsplätzen
4 Richtlinien für die Anlage von Landstraßen, FGSV Verlag, 2012
5 Richtlinien für das Sicherheitsaudit von Straßen, FGSV Verlag, 2019
6 Defizitlisten für das Sicherheitsaudit von Straßen (FE 82.0664/2016)
7 Richtlinie (EU) 2019/1936 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zur Änderung der Richtlinie 2008/96/EG über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur