Beschluss

Reduzierung der Unfälle mit Beteiligung landwirtschaftlicher Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr

Vorstandsbeschluss vom 28.04.2025 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik
13.05.2025
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Beschluss

Reduzierung der Unfälle mit Beteiligung landwirtschaftlicher Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr

Vorstandsbeschluss vom 28.04.2025 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik

Vorstandsbeschluss vom 28.04.2025 auf Basis der Empfehlungen des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik

Einleitung

Landwirtschaftliche Fahrzeuge, besonders Traktoren inkl. Anhänger oder Anbaugeräte, sind Kraftfahrzeuge, die hauptsächlich für landwirtschaftliche Arbeiten verwendet werden. In der Regel sind diese darauf ausgelegt, landwirtschaftliche Geräte zu ziehen und anzutreiben. Sie dürfen auch auf öffentlichen Straßen fahren.

Trotz eines steigenden Fahrzeugbestandes ist kein Anstieg der Unfallzahlen zu verzeichnen. Unfälle unter Beteiligung von Traktoren sind mit 0,65 % aller Unfälle mit Personenschäden selten, enden jedoch überproportional oft tödlich. Kommt es zu einem Unfall mit einem Traktor, ist die Getötetenrate 56mal höher als bei Unfällen mit Beteiligung von Pkw.1 Bezogen auf die Fahrleistung weisen die 2023 in einer Unfallstudie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) betrachteten Traktoren damit ein deutlich höheres Unfallrisiko auf als alle anderen Fahrzeugarten. Mit einem Anteil von 17 % an den Unfällen mit lebensbedrohlich Verletzten (MAIS 3+2) ist die Schwere von Traktorunfällen zudem besonders hoch. 

Das Durchschnitts-alter der unfallbeteiligten Traktoren betrug 16,4 Jahre (Median: 12 Jahre). Die Mehrzahl der Zugmaschinen (66,8 %) wurden nach oder im Jahr 2000 zugelassen.
Die meisten Unfälle geschehen beim Abbiegen, Einbiegen und Kreuzen sowie im Längsver-kehr und hauptsächlich tagsüber bei guten Witterungsbedingungen. An den Unfällen waren in 65 % der Fälle Pkw, in 20 % motorisierte Zweiräder und in 8 % Fahrräder (inkl. Pedelecs) beteiligt. Bezogen auf Fahrzeugbestand und Fahrleistung sind motorisierte Zweiräder jedoch überdurchschnittlich häufig in Traktorunfälle verwickelt.
UDV-Studien aus den Jahren 2013 und 2023 zeigen zudem, dass der Großteil der unfallbe-teiligten Traktoren mit einem Anhänger im Straßenverkehr unterwegs war. International durchgeführte Unfallstudien kommen zu ähnlichen Ergebnissen.3
Diese Unfälle können durch verschiedene technische und infrastrukturelle Maßnahmen adressiert werden (z.B. Sichtbarkeit, Schutzeinrichtungen, Fahrerassistenzsysteme).

Trotz fehlender Untersuchungen ist davon auszugehen, dass bestimmte kritische Situationen auch bei anderen landwirtschaftlichen Maschinen auftreten und die Umsetzung der nachfolgend genannten Maßnahmen auch für diese sinnvoll sein könnte.

Empfehlungen

1. Die Hersteller landwirtschaftlicher Maschinen sollten die Fahrzeuge präventiv mindes-tens mit folgenden Fahrerassistenzsystemen ausstatten bzw. diese Systeme zur Se-rienreife weiterentwickeln:

o Standardisierte, interoperable und jederzeit sowie überall verfügbare Techno-logie zur Direktkommunikation in sicherheitskritischen Situationen (typische, zeitkritische Unfallsituationen), insbesondere zur Warnung vor langsamen oder linksabbiegenden Fahrzeugen. Diese Technologie sollte über die Fahr-zeuglebensdauer kostenneutral zur Verfügung stehen.

o Abbiegeassistenten, die den Fahrenden insbesondere beim Spurwechsel und dem anschließenden Linksabbiegen bei der Wahrnehmung anderer Ver-kehrsteilnehmender seitlich neben sowie seitlich hinter dem Traktor durch ein Warnsignal unterstützen. Perspektivisch sollte das Ziel sein, sämtliche Abbie-gesituationen, auch durch aktiv eingreifende Systeme, adressieren zu können.

o Front-/Vorbausensoriksysteme (z.B. Kamera, Lidar u.ä.), welche mittels eines informierenden Systems dabei unterstützen, schwer einsehbare Kreu-zungsbereiche oder Grundstücksausfahrten mit Sichteinschränkungen besser zu überblicken und andere Verkehrsteilnehmende rechtzeitig wahrzunehmen.

o Kollisionsvermeidung für den Längsverkehr, mit dem Ziel, bei drohenden Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmenden den Fahrenden zu warnen. Perspektivisch sollte das Ziel sein, durch eine automatische Teil- oder Voll-bremsung zur Kollisionsvermeidung oder der Abmilderung der Unfallfolgen beizutragen.


Empfehlungen an das Bundesverkehrsministerium:

2. Die überarbeiteten „Empfehlungen für Kamera-Monitor-Systeme für Fahrzeuge mit einer Sichtfeldeinschränkung insbesondere auch durch Vorbaumaßüberschreitung von mehr als 3,5 m“4 mit den entsprechenden Spezifikationen für Frontkamerasysteme sollten zeitnah aktualisiert, im Verkehrsblatt veröffentlicht und zur Anwendung gebracht werden.

3. Die Entwicklung und Nachrüstung von technischen Maßnahmen für landwirtschaftliche Fahrzeuge zur Erhöhung der Verkehrssicherheit (z.B. KMS, Abbiegeassistent, Vehicle-to-X, Erhöhung der Sichtbarkeit) sollten gefördert werden. Zudem sollten Pilotprojekte zur Demonstration der Wirksamkeit der Systeme zur Reduzierung der Unfallzahlen gefördert werden.

4. Die Nutzung der gelben Rundumkennleuchte für landwirtschaftliche Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr sollte verpflichtend vorgeschrieben werden. Weiterhin sollten Möglichkeiten der Optimierung des Signalbildes im Sinne der Erhöhung der Verkehrssicherheit geprüft werden. Entsprechende internationale Anforderungen (z. B. UNECE R 86 und DIN EN 17750) liegen vor und sind größtenteils auch für eine Nachrüstung der in Verkehr befindlichen Fahrzeugen geeignet.

5. Auf europäischer Ebene sollte sich dafür eingesetzt werden, die unter Punkt 1 ge-nannten Systeme im Rahmen der Fortschreibung der Regelwerke und Anpassung an den technischen Fortschritt künftig verpflichtend für landwirtschaftliche Fahrzeuge vorzuschreiben.


Weitere Empfehlungen:

6. Fahrzeughersteller (Pkw, Lkw, Busse, Motorräder) sollten landwirtschaftliche Maschinen bei der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen sowie der V2X-Kommuni-kation vollständig berücksichtigen.

7. Verbraucherschutzorganisationen (z.B. Euro NCAP) sollten die Erkennung land-wirtschaftlicher Maschinen durch Fahrerassistenzsysteme positiv berücksichtigen.

8. Infrastrukturelle Maßnahmen (permanent sowie temporär) sollten genutzt werden, um an Unfallschwerpunkten das Gefahrenpotenzial von Ein- und Abbiegesituationen zu reduzieren (z.B. Anordnung von Überholverboten und Geschwindigkeitsbeschrän-kungen, Herstellung besserer Sichtverhältnisse, Warnhinweise).5

9. Die Sensibilisierung aller Verkehrsteilnehmenden für die besonderen Gefahren von landwirtschaftlichen Maschinen im Straßenverkehr muss weiterhin einen festen Platz in der Fahrausbildung und der allgemeinen Kommunikationsarbeit zur Ver-kehrssicherheit haben.

10. Traktorfahrende sollten das Angebot von Fahrsicherheitstrainings nutzen, um die Risiken im Straßenverkehr durch und mit landwirtschaftlichen Maschinen besser kennenzulernen. Typische Unfallsituationen unter Beteiligung von Traktoren sollten im Rahmen der Trainings, bspw. durch den Einsatz von Fahrsimulatoren, verstärkt adressiert werden. Besonders junge Fahrende sollten auf das bestehende Angebot entsprechender Programme und Fahrsicherheitstrainings6 aufmerksam gemacht wer-den. Das Angebot an Fahrsicherheitstrainings sollte zudem weiter ausgebaut werden.

gez.
Manfred Wirsch
Präsident

 

 


[1] UDV – Unfallforschung kompakt Nr. 123: Traktoren im Verkehrsunfallgeschehen, 11.04.2023, Berlin
[2] MAIS (Maximal Abbreviated Injury Scale) entspricht der schwersten Einzelverletzung einer verletzten Person. Die Verletzungsgrade reichen von MAIS 0 (unverletzt) bis MAIS 6 (tödlich verletzt).
[3] vergleiche u.a. die „Farm Equipment Crash Study“ des amerikanischen „Great Plains Center for Agricultural Health“ aus den Jahren 2005 – 2010 sowie die europäischen Erhebungen des „European Committee of Associa-tions of Manufacturers of Agricultural Machinery“ (CEMA) aus dem Jahr 2015 oder die „Analysis of On-Road Farm Tractor Accidents in Hatay Province of Turkey from 2000 to 2015“ der Bursa Uludağ Universität
[4] Verkehrsblatt, Landverkehr – Ausgabe Nr. 23/2016, S. 719
[5] siehe z.B. DVR-Beschluss „Sichere Knotenpunkte auf Landstraßen“ vom 17.10.2024
[6] z.B. das DVR-Programm „Sicher fahren in der Land- und Forstwirtschaft“, bestehend aus den Bausteinen „Sicher fahren“, „Sicher transportieren“ und „Fahren mit Verantwortung“ oder das ADAC & DLG Fahrsicherheitstraining Landwirtschaft