Verbändeanhörung zum Entwurf einer XX. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
Stellungnahme
17.10.2019
Verbändeanhörung zum Entwurf einer XX. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
Dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit Schreiben vom 26.09.2019 die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme zur Novellierung der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) eröffnet. Der DVR bedankt sich dafür und nimmt zum übermittelten Entwurf wie folgt Stellung:
In Umsetzung von Inhalten des aktuellen Koalitionsvertrages von CDU, SPD und CSU, in denen die Überprüfung der Straßenverkehrs-Ordnung mit dem Ziel der Förderung eines sichereren Radverkehrs vorgesehen ist, hat das BMVI einen Entwurf zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vorgelegt. Der DVR begrüßt, dass das BMVI einige wesentliche Ergebnisse der im Rahmen der Verkehrsministerkonferenz (VMK) im Herbst 2018 gebildeten Ad-hoc Arbeitsgruppe Radverkehrspolitik der Länder aufgegriffen und einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorgelegt hat. Die VMK hatte am 04./05. April 2019 in einem einstimmig gefassten Beschluss den Bericht der Ad-hoc Arbeitsgruppe Radverkehrspolitik angenommen. Sie sehe „in den darin genannten Vorschlägen zur Novellierung von StVO und VwV-StVO einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit und Steigerung der Leichtigkeit des Radverkehrs in der Praxis (…).“ Inwieweit die Vorschläge der Länder tatsächlich in diesen Entwurf aufgenommen wurden, ist nicht Gegenstand dieser Stellungnahme.
Der DVR begrüßt aber, dass inzwischen auf allen politischen Ebenen erkannt wurde, dass dringender Handlungsbedarf zur Verbesserung der Verkehrssicherheit besteht und erhofft sich auch durch die Novellierung der StVO in diesem Sinne spürbare Fortschritte. Immerhin sind im Straßenverkehr im Jahre 2018 445 Rad Fahrende getötet worden.
Zusammenfassende Bewertung im Lichte der Strategie Vision Zero
Für alle nachfolgend aufgeführten Verhaltensvorschriften gilt, dass diese nur dann zu einer Verbesserung der Sicherheit des Straßenverkehrs führen können, wenn die Verkehrsteilnehmenden umfassend über Sinn und Zweck der einzelnen Vorschriften aufgeklärt werden, damit sie als Normadressaten die an sie gerichteten Anforderungen erfüllen können. Zudem muss eine flächendeckende Verkehrsüberwachung stattfinden. Denn da sich – fahrlässig oder vorsätzlich – nicht alle am Verkehr Teilnehmenden an die Regeln halten, ist eine Feststellung und anschließende spürbare Sanktionierung etwaigen Fehlverhaltens erforderlich und geboten.
Zur Verbesserung der Sicherheit der Fahrrad Fahrenden wird es außerdem notwendig sein, die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) sowie ggfs. das Straßenverkehrsgesetz (StVG) anzupassen. Eine solche Anpassung wurde vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur am 07. Juni 2019 auch bereits angekündigt.
Darüber hinaus sollte die Strategie Vision Zero, mit dem Ziel null Verkehrstote, welche durch den Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und CSU zum Auftrag der Bundesregierung geworden ist, an geeigneter Stelle ins Verkehrsrecht aufgenommen und zur zentralen Richtschnur des Verwaltungshandelns und des Erlasses von Verhaltensregeln werden. Dies würde den einstimmig gefassten Beschluss der VMK umsetzen (s.o.). Die Rechtsnorm des § 6 Absatz 1 Nr. 3 StVG hat diese Funktion jedenfalls bislang nicht ausreichend erfüllt. Aufgrund „der Geschichte“ der StVO sehen inzwischen viele gesellschaftliche Akteure diese Verordnung als Mittel, den Verkehr mit Kraftfahrzeugen gegenüber den anderen Verkehrsarten zu privilegieren. Um hier wieder zu einem gesellschaftlichen Konsens zu kommen, sollte die Gleichrangigkeit aller Arten, am öffentlichen Verkehr teilzunehmen, in der Straßenverkehrs-Ordnung deutlich klargestellt werden.
Zu den einzelnen Änderungen, Artikel 1 des vorliegenden Entwurfs
Zu 1. § 2 StVO
a) „Nebeneinanderfahren“
Die bisherige Regelung wird vor allem von Kraftfahrzeug Führenden häufig missverstanden. Viele Kraftfahrzeug Führende gehen fälschlicherweise davon aus, dass ein Nebeneinander Fahren von Rad Fahrenden generell verboten ist. Ähnlich verhält es sich mit der Nutzung von Radwegen, von der angenommen wird, dass diese von Rad Fahrenden immer zu nutzen sind.
Doch ist nicht jedes Nebeneinander Fahren von Rad Fahrenden als „Behindern“ zu bewerten. Nebeneinander Rad Fahrende behindern zum Beispiel nicht, wenn der Führende des Kraftfahrzeugs aus Rechtsgründen, aufgrund mangelnder Breite der Fahrbahn, einzuhaltendem Überholabstand und für den Überholvorgang erforderlicher deutlich höherer Geschwindigkeit, gar nicht überholen dürfte.
Eine Klarstellung, dass Fahrrad Fahrende grundsätzlich nebeneinander fahren dürfen, ist daher sinnvoll. Ohne weitere Einschränkung könnte jedoch ein Überholen durch schnellere Verkehrsteilnehmende (das können auch andere Rad Fahrende sein) als Selbstzweck verhindert werden, wenn ein Überholen auf einem anderen Fahrstreifen nicht möglich ist. Das würde dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und einer verkehrsartneutralen Ermöglichung der Leichtigkeit des Verkehrs zuwiderlaufen. Die vorgeschlagene Regelung, hier ausdrücklich eine unnötige Behinderung auszuschließen (Umkehr des bisherigen Regel-Ausnahme-Verhältnisses) wird befürwortet, um deutlich zu machen, dass ein Überholen auch durch andere Verkehrsteilnehmende (darunter schnellere Rad Fahrende) im Sinne von § 1 Absatz 2 StVO (Behinderungsverbot) zu ermöglichen ist.
b) Gehweg überqueren
Die Klarstellung, dass Rad fahrende Kinder und die diese begleitende Aufsichtsperson absteigen müssen, wenn sie vor dem Überqueren der Fahrbahn einen Gehweg benutzt haben, wird begrüßt. Allerdings sollte sich das Gebot auch auf die Benutzung gemeinsam genutzter Geh- und Radwege sowie für Rad Fahrende freigegebene Fußgängerzonen erstrecken.
Zu 2. § 5 StVO: „Überholabstand“
Die Normierung eines Mindestüberholabstands für Kfz Führende gegenüber Rad Fahrenden, zu Fuß Gehenden und Elektrokleinstfahrzeuge (EKF) Führenden ändert zwar nichts an der durch Rechtsprechung entwickelten bestehenden Rechtslage, hat aber eine Signalfunktion von großem Wert und wird daher vom DVR befürwortet. Allerdings sollten die Überholabstände in Hinsicht auf die ungeschützten Verkehrsteilnehmenden definiert werden. Dazu gehören auch die Führenden von Krafträdern, EKF und S-Pedelecs. Als Überholabstand sind jedoch bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h oder mehr aufgrund der höheren Differenzgeschwindigkeiten mindestens zwei Meter (bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h 1,5 Meter) als notwendiger Abstand anzusehen. Die Ortslage ist hier hinsichtlich der Gefährdung kein geeignetes Kriterium.
Klargestellt werden sollte, dass bei Überholvorgängen auf einem Fahrstreifen Kraftfahrzeuge auf die Gegenfahrbahn und bei zwei oder mehr Fahrstreifen auf den nächstgelegenen ausweichen müssen. In der Praxis wird sich dies aufgrund der Platzverhältnisse regelmäßig ergeben.
Klargestellt werden sollte auch, dass die Mindestüberholabstände auch beim Überholen von Nutzenden markierter Radverkehrsführungen ihre Geltung behalten.
Konsequenterweise müsste jedoch nicht nur der Mindestüberholabstand, sondern auch der Abstand zum rechten Fahrbahnrand (von mindestens ein Meter(!), wie von DVR und Bundesverkehrsministerium auch bereits öffentlich gemeinsam kommuniziert) normiert werden. Dadurch ließe sich die Gefahr durch das unvorsichtige bzw. ohne Rücksichtnahme erfolgende Öffnen von Autotüren („Dooring-Unfälle“) verringern. Zusätzlich würden die Sichtbeziehungen an Kreuzungen und Einmündungen verbessert, wenn Fahrrad Fahrende sich nicht zu weit am rechten Fahrbahnrand befänden.
Darüber hinaus sollte in § 5 Absatz 6 S. 2 StVO klargestellt werden, dass nur wer ein langsameres Kraftfahrzeug führt, die Geschwindigkeit an geeigneter Stelle ermäßigen, notfalls warten muss, wenn nur so mehreren unmittelbar folgenden Fahrzeugen das Überholen möglich ist. Die geltende Formulierung „Fahrzeuge“ umfasst dagegen auch Fahrräder (vgl. § 16 StVZO).
Zu 3. § 9 StVO: „Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit“
Zwar muss eine angepasste Geschwindigkeit bereits nach geltendem Recht eingehalten werden. Der Kraftfahrzeug Führende muss sich in die Kreuzung „hinein tasten“: Die klarstellende Aufforderung an den Normadressaten, dass innerorts beim Abbiegen die Schrittgeschwindigkeit nicht überschritten werden darf, ist jedoch neben der noch schneller voranzutreibenden Ausrüstung der Lkw mit Abbiegeassistenten, der Verbesserung von Kreuzungsdesigns und der Schaltung von Lichtzeichenanlagen (mit ausreichendem Vorlauf für den Radverkehr) eine sinnvolle Maßnahme, um die insbesondere aufgrund mangelnder Sichtbeziehungen besondere Gefahr des Abbiegens schwerer Fahrzeuge zu verdeutlichen und einzudämmen.
Zu 4. § 12 StVO:
a) „Freihalten Kreuzungsbereiche“
Das Unfallgeschehen zeigt eine große Häufigkeit von Kollisionen an Kreuzungen und Einmündungen, wobei die Verbesserung der Sichtbeziehungen einen zentralen Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Sicherheit der Infrastruktur darstellt. Daher wird eine Erweiterung der Park- und Haltverbote in Bereichen von Kreuzungen und Einmündungen befürwortet.
Im Einzelfall adäquat wäre die Festlegung von Maßen in Abhängigkeit der jeweiligen zulässigen Höchstgeschwindigkeit und weiterer örtlicher Gegebenheiten. Um jedoch auch ohne Straßenmarkierungen den Kraftfahrzeug (Kfz) Führenden eine klare Regelung vorzugeben, sollte ein Abstand von zehn Metern zum Schnittpunkt der Fahrspuren festgelegt werden. Letztere Bezugsgröße hat den Vorteil, dass sie bei den Verkehrsteilnehmenden bekannt und hinreichend klar ist.
Verschiedene Maße, eine Änderung der Bezugsgröße auf die Eckausrundung und die Formulierung „soweit in Fahrtrichtung rechts neben der Fahrbahn ein Radweg baulich angelegt ist, der als solcher entweder mit Zeichen 237, 240 oder 241 benutzungspflichtig angeordnet oder mit dem Sinnbild „Radverkehr“ gekennzeichnet ist.“, werden vom DVR als zu komplex angesehen, um eine Befolgung durch die am Verkehr Teilnehmenden in der Praxis erwarten zu lassen.
b) Abstellen und Parken von Fahrrädern
Vor dem Hintergrund, dass zu Fuß Gehenden, insbesondere Kindern, seh- und mobilitätseingeschränkten Personen, im Rahmen der Ermöglichung ihrer Mobilität, zukünftig ein größerer Schutzraum zur Verfügung gestellt werden sollte, bedarf die Frage, wo Zweiräder (Fahrräder, aber auch Motorräder, Elektrokleinstfahrzeuge) und Dreiräder geparkt bzw. abgestellt werden sollen, einer breiten gesellschaftlichen Diskussion.
Das im Entwurf vorgesehene Abstellverbot und die darauf Bezug nehmende Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (§ 11 Absatz 5) schaffen jedenfalls keine Klarheit, da in der EKF-VO von hier nicht bekannten „Parkvorschriften“ die Rede ist. Der Begriff „Abstellen“ bleibt dagegen undefiniert, etwa bezüglich der Frage, ob man mit Fahrrädern (z. B. Rikschas) oder eben Elektrokleinstfahrzeugen halten kann. Im Begründungsteil des Entwurfs heißt es dann aber zum Sinnbild „Lastenfahrrad“, damit sollten Parkflächen gekennzeichnet werden. Lastenfahrräder sind aber Fahrräder und müssten folgerichtig abgestellt und nicht geparkt werden.
Die Entscheidungsfreiheit der Kommunen, geeignete Flächen für Stellplätze auszuweisen, sollte jedenfalls nicht durch generelle Verbote in der StVO in Frage gestellt werden.
Das im Entwurf vorgesehene Abstellverbot sollte daher gestrichen werden. Alternativ wäre es zumindest genauer und terminologisch schlüssig zu definieren und unbedingt der freizuhaltende Raum auf Gehwegen ausreichend klarzustellen.
Zu 8. § 23 StVO:
a) Klarstellung Blitzeranzeigen
Die Klarstellung, dass Blitzerapps und –anzeigen gleichermaßen verboten sind, wird vom DVR begrüßt.
b) „Notbremsassistenten“
Das Verbot, Notbremsassistenten bei Geschwindigkeiten über 30 km/h abzuschalten, wird vom DVR ebenfalls begrüßt, kann aber nur einen Zwischenschritt darstellen. Stattdessen sollten sich Notbremsassistenten nach situationsbedingten Unterbrechungen der Funktion automatisch wieder einschalten. Insgesamt sind die Systeme dahin weiterzuentwickeln, dass sie sich systembedingt bei entsprechenden Gegebenheiten (z. B. bei Schnee oder in unwegsamem Gelände) automatisch abschalten und anschließend von selbst wieder aktivieren. Diese Situationen sind im Rahmen der einschlägigen UN/ECE-Regelungen zügig genauer zu definieren. Der Status des Systems ist in einem Datenschreiber zu registrieren, um die Beweisführung bei Verkehrsunfällen zu ermöglichen. Auch sind die Lkw Fahrenden über die Funktionsweisen und Systemgrenzen umfassend aufzuklären.
Um eine Geltung des Abschaltverbots auch für Pkw zu ermöglichen, sind zunächst die europäischen Regelungen für Notbremsassistenten dieser Fahrzeugklasse zu schaffen.
Zu 11. § 37 StVO:
a) und b) „Grünpfeil“
Die Einführung des Grünpfeiles für den Radverkehr kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom DVR nicht befürwortet werden, weil die hierzu durchgeführte Pilotuntersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) unseres Wissens nach noch nicht abgeschlossen worden ist. Die sofortige Einführung des Grünpfeils für den Radverkehr würde die ergebnisoffene Forschungsstudie schon im Vorwege obsolet machen.
Sollte nach Abschluss der oben genannten Untersuchung der Grünpfeil für den Radverkehr eingeführt werden, wäre es folgerichtig, dass Rad Fahrende auch aus einem am rechten Fahrbahnrand befindlichen Radfahrstreifen oder straßenbegleitenden, nicht abgesetzten, baulich angelegten Radwegen abbiegen dürften.
Zu 12. § 12 StVO: „Sinnbilder“
b)
aa) Sinnbild Lastenfahrrad
Die Einführung eines Sinnbildes für Lastenräder wird befürwortet, um entsprechende Ladezonen einrichten zu können. Letztere scheinen als Maßnahme geeignet, um Konfliktsituationen mit dem wachsenden Lieferverkehr sowie die Zahl entsprechender Überhol- und Ausweichmanöver zu verringern. Hier sollte klargestellt werden, dass mit Lastenrädern nicht nur Güter, sondern auch minderjährige Personen und Menschen mit Behinderung transportiert werden dürfen.
Zu 14. § 45 StVO
a) und d) „Innovationsklausel“
Der DVR befürwortet sehr eine Öffnung des § 45 StVO, um den Kommunen ausreichend Freiheiten einzuräumen, eine nach Sicherheitsbelangen ausgerichtete, verkehrsmittelübergreifend gestaltete Netzplanung umzusetzen.
Eine Befreiung von Verkehrsversuchen von den Begründungserfordernissen einer örtlichen Gefahrenlage ist ein richtiger Schritt in Richtung einer größeren Entscheidungsfreiheit der Kommunen, welche durch entsprechende Änderungen des Straßenverkehrs-Gesetzes und der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung hergestellt werden sollte.
Die Voraussetzungen etwa für die Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Fahrradstraßen bleiben auch nach der letzten diesbezüglichen StVO-Novelle 2016 sehr restriktiv. Es sollte den Kommunen jedoch möglich gemacht werden, auch durch die Anordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen Strecken für den Radverkehr sicherer und attraktiv zu machen. Dazu sollte für eine integrale Netzplanung über Verkehrsversuche hinausgehend auf den Nachweis örtlicher Gefahrenlagen oder einen bereits bestehenden hohen Anteil des Radverkehrs („Henne-Ei-Problem“) verzichtet werden. Stattdessen sollte eine Genehmigung von Rad- und Fußverkehrsplänen durch die nach Landesrecht zuständigen Behörden ausreichen, den örtlichen Verkehrsbehörden die verkehrsrechtlichen Anordnungen im Einzelfall zu überlassen.
c)
Fahrradzonen können nur dann als sinnvolle Erweiterung der Fahrradstraßen angesehen werden, wenn diese im Sinn einer fahrradfreundlichen Netzplanung und entsprechenden Bevorrechtigung sowie tatsächlichen Ausschlusses des Kfz-Durchgangsverkehrs angeordnet und durchgesetzt werden. Als „halbherzige“ Maßnahme könnte es dagegen zu verstärkten Konflikten mit dem Kfz-Verkehr kommen.
Nicht konsequent durchdacht erscheint die Bevorrechtigung des Radverkehrs in der künftigen Fahrradzone. Während man in der Fahrradstraße den Vorrang herstellen soll („Soll-Vorschrift“, die vielfach durch entsprechende Beschilderung recht einfach umgesetzt werden kann), gilt in der Fahrradzone an Kreuzungen und Einmündungen der Vorrang für von rechts kommende Verkehrsteilnehmende (§ 8 Absatz 1 StVO). In der Praxis wird die Fahrradzone aber fast immer für Anlieger freigegeben werden (müssen). Rad Fahrende müssen dann dem von rechts kommenden Kfz Vorfahrt gewähren. Somit bliebe als Unterschied gegenüber der Tempo-30-Zone nur das deutlichere Gefährdungs- und Behinderungsverbot („Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern“) sowie das etwas weiter formulierte Recht, nebeneinander fahren zu dürfen.
Zu 19. Anlage 2 zu § 41 StVO: „Verkehrszeichen“
a) und e) Einbahnstraßen
Elektrokleinstfahrzeuge sollten hier konsequenterweise als Kraftfahrzeuge behandelt werden, mit denen ein Befahren in Gegenrichtung ausgeschlossen ist. Würde man dagegen nur auf die Fahrzeugbreite abstellen, wäre nicht mehr schlüssig, warum den Nutzenden breiter Lastenfahrräder dieses Recht gewährt wird, Motorrad Fahrenden hingegen nicht. Stattdessen sollte bei dieser Regelung auf die politisch gewollte Förderung der (zumindest vorrangig) durch Muskelkraft betriebenen Fahrräder abgestellt werden.
Der Verkehrssicherheit noch dienlicher wäre es, das Befahren von Einbahnstraßen in Gegenrichtung generell freizugeben. Dann wäre grundsätzlich mit entgegenkommenden Fahrrad Fahrenden zu rechnen. Alltagserfahrungen zeigen, dass Kfz Führende häufig von entgegenkommenden Fahrrad Fahrenden überrascht werden, da sie die uneinheitliche Freigabe für Fahrrad Fahrende nicht wahrnehmen. Daher wird eine generelle Öffnung mit der Möglichkeit einer begründeten Einschränkung vorgezogen. Der Verkehrsbehörde muss es aber bei Sicherheitsbedenken möglich bleiben, ohne komplexe Begründungserfordernisse die Einfahrt in Gegenrichtung für Fahrrad Fahrende vollständig zu verbieten. Dies sollte in der Regel dann geschehen, wenn in einer Einbahnstraße eine zulässige Höchstgeschwindigkeit über 30 km/h erlaubt ist oder die Platzverhältnisse ein Begegnen mit ausreichendem Abstand nicht erlauben.
b) Fahrradzonen
vgl. oben
c) „Fahrgemeinschaften“ auf Bussonderfahrstreifen: Die Möglichkeit einer Freigabe von Busspuren für Kfz, die mit mindestens drei Insassen besetzt sind, wird kritisch gesehen. Vorrangig sollte der ÖPNV gestärkt werden, der eine besonders sichere Art der Fortbewegung darstellt. Würden Pkw (noch zusätzlich zu Taxis) die Spur nutzen, würden sie den langsameren Bus, insbesondere an den Haltestellen, wo ein besonderes Schutzbedürfnis gegenüber den ein- und austeigenden Fahrgästen besteht, überholen. Zusätzliche Spurwechsel zum Überholen von Bussen wären einem sicheren Verkehrsfluss aber abträglich.
f-j) Überholverbot
Ein Verkehrszeichen für ein Überholverbot einspuriger Fahrzeuge wäre bei Klarstellung des Mindestüberholabstands obsolet, da an Engstellen gemäß § 5 Absatz 4 S. 2 StVO ein Überholen ohnehin verkehrswidrig ist. Umgekehrt könnte vom Umstand, dass kein Überholverbot angeordnet wurde, fälschlicherweise auf ein Recht geschlossen werden, trotz unzureichender Platzverhältnisse und Differenzgeschwindigkeit zu überholen. Das wäre fatal.
Zu 20. Anlage 3 zu § 42 StVO
d) lfd. Nummern 21.1. und 21.2.: „Radschnellwege“
Diesem Vorschlag wird zugestimmt, um insbesondere an Querungsstellen die Klarheit und Eindeutigkeit der Verkehrssituation zu verbessern, sofern nicht durch bauliche Maßnahmen eine selbsterklärende Infrastruktur geschaffen werden kann.
e) lfd. Nummer 22
aa) Die Klarstellung, wann ein Schutzstreifen durch Kfz benutzt werden darf, wird vom DVR begrüßt.
bb) Ein Haltverbot auf Schutzstreifen wird begrüßt, um die entsprechenden Konflikte und Ausweichmanöver durch Rad Fahrende und Nutzende von Elektrokleinstfahrzeugen zu vermeiden.
f) lfd. Nummer 23.1„Haifischzähne“
Der Bedarf nach einer derartigen Straßenmarkierung wird bislang nicht erkannt. Ein negativer Effekt könnte sich daraus ergeben, dass ungeregelte Kreuzungen ohne Haifischzähne noch weniger als bisher als „Rechts-vor-links-Regelung“ erkannt werden.
Zu den einzelnen Änderungen, Artikel 3 des vorliegenden Entwurfs: Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV)
Ein deutlich sanktioniertes generelles Haltverbot auf Schutzstreifen erscheint sinnvoll, um die zu erwartenden Konflikte und Gefahren durch entsprechende Ausweichmanöver von Rad Fahrenden und Nutzern von Elektrokleinstfahrzeugen zu vermeiden.
Allerdings fehlt aus Sicht des DVR insgesamt ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Reform der Sanktionen gegen Verkehrsverstöße, wie auch von der Verkehrsministerkonferenz mehrfach von der Bundesregierung eingefordert:
„Die Verkehrsministerkonferenz bedauert, dass der Bund die Forderung der Verkehrsministerkonferenz vom 18./19. Oktober 2018 nach einem Eckpunktepapier zur Reform des Bußgeldkatalogs mit deutlicher Erhöhung des Sanktionsniveaus für entsprechende Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht aufgegriffen hat. Die Verkehrsministerkonferenz wiederholt ihre Forderung vom 19./20. April und 18./19. Oktober 2018, das Sanktionsniveau für Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einem besonderen Gefährdungspotential zügig zu erhöhen, um die erforderliche abschreckende Wirkung zu erreichen.“
Dieses müsste aus Sicht des DVR gefährdungsorientiert ausgestaltet sein, indem Verkehrsverstöße anhand des Grades einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit (Schadenspotenzial und Eintrittswahrscheinlichkeit) gewichtet werden.
Nichtbilden und Missbrauch der Rettungsgasse:
Die Verschärfungen der Sanktionen werden vom DVR sehr begrüßt. Das vorgesehene Regelfahrverbot für Kraftrad Führende für das Befahren einer Rettungsgasse scheint uns nicht verhältnismäßig zu sein. Hatte der Kraftrad Führende den Vorsatz, die Rettungsgasse zu befahren, um z.B. bei extremer Witterung die nächstgelegene Ausfahrt oder einen Rastplatz zu erreichen, dürfte eine geringere Sanktion ausreichend sein. Aufgrund der Möglichkeit, jederzeit die Rettungsgasse zu verlassen, besteht auch ein geringeres Gefährdungspotenzial als bei mehrspurigen Fahrzeugen.