Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 3. Mai 2021 zum „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren”
Stellungnahme
30.4.2021
Stellungnahme des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR)
für die öffentliche Anhörung am 3. Mai 2021
zum “Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren” (Stand 30.4.2021)
Vorbemerkungen
Der DVR erwartet, dass die Einführung und Nutzung von teil-, hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen in der Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit leisten wird. Der DVR schließt sich damit der Bewertung der Ethik- Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren an, dass die Vorteile für die Sicherheit die Risiken der Systeme überwiegen.
Es ist beim heutigen Stand der Technik aber davon auszugehen, dass den automatisiert fahrenden Fahrzeugen, wie allen hochkomplexen technischen Systemen, auch Risiken innewohnen. Dennoch muss sichergestellt sein, dass Fahrzeuge mit hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen im Vergleich zu heutigen insgesamt ein höheres Sicherheitsniveau für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer dauerhaft erreichen.
Kurzfassung
Der aktuelle Gesetzesentwurf wird seinem Anspruch in weiten Teilen schon gerecht, weist im Einzelnen aber noch erhebliche Lücken auf, das für die angelegte technologische Entwicklung höchstmögliche Sicherheitsniveau hinreichend vorzudefinieren. Hierzu gibt der DVR folgende Handlungsempfehlungen:
1. Kontinuierliche Feldüberwachung (zu § 1j)
Die Leistungsfähigkeit der autonomen Fahrfunktion von im Feld befindlichen Fahrzeugen muss durch das KBA im Rahmen einer Feldüberwachung kontinuierlich überwacht werden. Sollten potentiell sicherheitskritische Fehler erkannt werden, muss die Betriebserlaubnis durch das KBA solange entzogen werden können, bis der Fehler durch ein Hard- oder Softwareupdate behoben wurde.
2. Systemgrenzen (zu § 1f)
Die Aufgaben der Technischen Aufsichtsperson sowie mögliche Haftungsfragen müssen näher definiert werden. So ist ein Eingreifen der Technischen Aufsicht nur dann vorgesehen, wenn diese hierzu vom Fahrzeug aufgefordert wird. Eine permanente Überwachung jedes einzelnen Fahrzeugs mit voller Aufmerksamkeit oder ein eigenständiges Eingreifen im Notfall sind laut Gesetzentwurf (und können auch) nicht Aufgabe der Technischen Aufsicht sein. Das führt jedoch zu dem Problem, dass Verkehrsverstöße, welche vom Fahrzeug nicht als solche wahrgenommen werden, nicht erfasst werden und für spätere Auswertungen nicht zur Verfügung stehen.
Um solche Fehler herstellerübergreifend erkennen und abstellen zu können, muss eine kontinuierliche Feldüberwachung erfolgen. Damit sich Tatzeit und -ort rekonstruieren lassen, müssen auch Umfelddaten sowie Ort und Zeit gespeichert werden.
3. Typgenehmigung (zu § 1e Abs. 4)
Der Gesetzesentwurf stellt für die Betriebserlaubnis hinsichtlich der Anforderungen aus § 1e Abs. 2 (selbstständiges Einhalten der Verkehrsvorschriften; System der Unfallvermeidung) letztlich auf eine Herstellererklärung ab. Dies ist trotz der detaillierten Anforderungen in der betreffenden Rechtsverordnung unzureichend. Hier ist dringend schon auf gesetzlicher Ebene ein Verfahren vorzusehen, die Herstellererklärung durch unabhängige Dritte zu prüfen und einer Risikobeurteilung zu unterziehen.
Das gilt auch und gerade bezüglich Anforderungen, die noch nicht durch UN/ECE- Vorschriften beschrieben sind.
4. Digitaler Datenspeicher (zu § 1g)
Anonymisierte Daten aus dem Regelbetrieb werden für die Unfallforschung und -aufklärung benötigt, um Fehler der neuen Systeme zu erkennen und eine Weiterentwicklung der Systeme zur kontinuierlichen Erhöhung der Verkehrssicherheit zu ermöglichen.
Die in § 1g aufgeführten Daten sind zu diesem Zweck jedoch unzureichend. Um den Zweck der Unfallforschung und -aufklärung erfüllen zu können, sind mindestens noch aggregierte und anonymisierte Umfelddaten des Fahrzeugs (ggf. stichprobenartig) erforderlich.
Eine Übermittlung der Fahrzeug-Identifikationsnummer ist für die Unfallforschung dann verzichtbar, wenn die grundlegenden Fahrzeugmerkmale inklusive der verbauten Version der Fahrerassistenzsysteme den unfallbeteiligten Fahrzeugen zugeordnet werden können.
5. Hauptuntersuchung
Die sicherheitsrelevanten Fahrfunktionen eines autonom fahrenden Fahrzeugs sowie deren Softwareintegrität und der digitale Datenspeicher müssen Bestandteil der regelmäßigen Hauptuntersuchung sein, um die Funktionsfähigkeit und Wirksamkeit über die Lebensdauer des Fahrzeugs nachhaltig sicherzustellen. Hierzu müssen die Sensordaten über eine standardisierte Prüfschnittstelle bereitgestellt werden.
6. Aufgaben der Technischen Aufsicht (zu § 1f)
Die Aufgaben der Technischen Aufsichtsperson sind im Detail zu konkretisieren. So ist unklar, wie sich die Technische Aufsichtsperson im Pannenfall zu verhalten hat und wie sie die Maßnahmen zur Verkehrssicherung, etwa im Falle des Ausfalls von Sensoren oder bei
Manövrierunfähigkeit, einleiten und beurteilen soll. Hierzu gehört auch die Frage, ob Fahrgäste in der jeweiligen Pannensituation sicher aussteigen können.
Im Gesetzestext ist außerdem die Pflicht der Technischen Aufsichtsperson zu ergänzen, das Fahrzeug auch bei anderen offensichtlichen Gründen, wie einem beobachteten Notfall im Insassenraum, zu deaktivieren und Soforthilfe zu leisten.
Außerdem muss die Deaktivierung des Fahrzeugs in Notfallsituationen jederzeit auch den Passagieren durch einen im Fahrzeug angebrachten Not-Aus-Schalter oder eine Notbremse möglich sein.
Weiterhin empfiehlt der DVR:
7. Sicherheit über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus
Um die autonome Fahrfunktion an sich ändernde Bedingungen (z.B. Gesetzesänderungen, neue Verkehrsteilnehmer, etc.) anzupassen und die Leistungsfähigkeit des Systems zu erhalten, werden regelmäßige Softwareupdates notwendig sein. Sicherheitsrelevante Updates sollten zuvor vom KBA genehmigt werden.
Meldet ein Fahrzeughersteller Insolvenz an, sind die regelmäßigen Systemupdates nicht mehr gewährleistet. In diesen Fällen müsste die autonome Fahrfunktion bei entsprechenden Modellen durch das KBA deaktiviert werden.
8. Mobilitätsdaten
Die anfallenden Mobilitätsdaten sollten durch die zuständigen Landesbehörden genutzt werden können, um Rückschlüsse auf die festgelegten Betriebsbereiche und gegebenenfalls erforderliche Nachbesserungen ziehen zu können.