Stellungnahme anlässlich der Verbändeanhörung zum „Entwurf einer Ersten Verordnung zur Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung" (BKatV)
Stellungnahme
19.7.2021
Verbändeanhörung zum „Entwurf einer Ersten Verordnung zur Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung“
(Aktenzeichen StV 12/7332.5/6-2/3342824)
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) bedankt sich für die Einladung zur Verbändeanhörung vom 30.06.2021 und beantwortet diese mit der folgenden Stellungnahme.
A. Gesamtbewertung
Der DVR begrüßt, dass mit dem vorliegenden Entwurf die Regelungen des Artikels 3 der Vierundfünfzigsten Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 – unter inhaltlicher Modifikation im Bereich der Geschwindigkeitsverstöße – erneut erlassen werden sollen. Dies ist dringend erforderlich, damit der geänderte Bußgeldkatalog in den Ländern endlich rechtssicher angewendet werden kann. Daher begrüßt der DVR den vorliegenden Entwurf ausdrücklich, fordert aber auch nach den darin enthalten punktuellen Änderungen des Bußgeldkatalogs weiterhin eine grundlegende Reform des Sanktionensystems.
Damit Sanktionen präventive Wirkung entfalten können, müssen sie das Gefährdungspotenzial des jeweiligen Verkehrsverstoßes angemessen widerspiegeln. Auch die Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Länder „Sanktionsniveau Verkehrsordnungswidrigkeiten“ hat in ihrem Bericht an die Verkehrsministerkonferenz (VMK) vom 26.3.2020 festgehalten, dass das Sanktionengefüge aus StVO, Bundeseinheitlichem Tatbestands- und Bußgeldkatalog, Anlage 13 der Fahrerlaubnis-Verordnung und Fahreignungs-Bewertungssystem infolge der vorangegangen Anpassungen „in sich nicht mehr stimmig“ sei und nachjustiert werden müsse.1 Beispiele für Tatbestände, welche den Reformbedarf aufzeigen, sind unter B.3. aufgeführt.
Die im Zuge der letzten StVO-Novelle angestoßenen Änderungen mit dem Ziel, insbesondere die Sicherheit des Radverkehrs zu erhöhen, stellen dabei aus Sicht des DVR nur kleine Mosaiksteinchen eines anzustrebenden stimmigen Gesamtgefüges dar. So unterstützt der DVR die Einschätzung der VMK vom 26.03.2020, dass nach der Novellierung der StVO von 2020 weiterer Bedarf besteht, „das Sanktionsniveau für Verkehrs-ordnungswidrigkeiten mit besonderem Gefährdungspotential anzuheben“. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe hat in ihrem Bericht zudem festgestellt, dass eine umfassende Untersuchung aller Tatbestände des gesamten Bußgeldkatalogs unter Einbeziehung des Gefährdungspotentials und der Unfallzahlen in ihrem Bear- beitungszeitraum noch nicht realisierbar war. Vor diesem Hintergrund begrüßt der DVR es umso mehr, dass gleich als erster Ansatzpunkt für Maßnahmen der Gemeinsamen Eckpunkte für eine Verkehrssicherheitsarbeit von Bund und Ländern2 festgehalten wurde, der Bund wolle „in Abhängigkeit der Evaluierung des Bußgeldkatalogs seinen Betrag leisten, um adäquate Sanktionshöhen bei Verwarnungen und Bußgeldern zu ermöglichen“. In diesem Sinne fordert der DVR, dass Bund und Länder diese Aufgabe nun wirklich gemeinsam angehen, nachdem die ersten Vorschläge aus dem Bericht der Ad-hoc-Arbeitsgruppe für eine deutliche Erhöhung der Bußgelder für Geschwindigkeitsüberschreitungen im vorliegenden Verordnungsentwurf deutlich unterschritten wurden.
Dringenden Änderungsbedarf sieht der DVR bei Sanktionierung einer vorschriftswidrigen Gehwegnutzung, da die Verschärfung hier gerade für E-Scooter ins Leere läuft.
B. Weitere Kommentierung
1. Neufassung laufende Nummern 2, 2.1, 2.2 und 2.3 BKatV:
Höhere Regelsanktionen für vorschriftswidrige Gehwegnutzung gelten leider nicht für E-Scooter
Der DVR begrüßt ausdrücklich die Absicht, Fußgängerinnen und Fußgänger auf Gehwegen besser zu schützen, indem die vorschriftswidrige Nutzung von Gehwegen durch Fahrzeuge mit deutlichhöheren Regelsanktionen geahndet werden soll. Diese Änderung beruht auf Nummer 33 des Beschlusses des Bundesrates (BR-Drs. 591/19 [Beschluss], Seite 28). Aus der Begründung zu dieser Ergänzung durch den Bundesrat geht deutlich die Annahme hervor, dass dadurch auch die Sanktionen für das Befahren von Gehwegen mit Elektrokleinstfahrzeugen angehoben würden: „Besonders das weithin verbreitete und – nicht zuletzt wegen der geringfügigen drohenden Sanktion in Höhe von 10 Euro – im Bewusstsein vieler Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen und vieler Rad Fahrenden jeden Alters als nahezu selbstverständlich angesehene Fahren auf Gehwegen ist für Fußgänger jeden Alters nicht weniger störend und gegebenenfalls sogar stärker behindernd oder gefährdend als das unzulässige Parken auf Gehwegen“.
Die Anhebung der Bußgelder für die vorschriftswidrige Straßenbenutzung durch Fahrzeuge (laufende Nummer 2 BKatV) gilt jedoch nach unserer Auffassung nicht für Elektrokleinstfahrzeuge, so dass die Verschärfung in dieser Hinsicht ins Leere läuft. Denn in § 14 Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) werden für Verstöße im Zusammenhang mit diesen Fahrzeugen gesonderte Tatbestände aufgelistet, darunter auch in Nr. 5 das Befahren einer für diese Fahrzeuge nicht zulässigen Verkehrsfläche. Da es dazu wiederum eigene laufende Nummern im Bußgeldkatalog gibt, müssten diese separat geändert werden, um auch die Sanktionen für Verstöße mit Elektrokleinstfahrzeugen anzuheben. Die laufende Nummer 238 BKatV „Mit einem Elektrokleinstfahrzeug eine nicht zulässige Verkehrsfläche befahren“ sowie die Varianten 238.1 BKatV „mit Behinderung und 238.2 BKatV „mit Gefährdung“ sollten demnach ebenfalls angehoben werden, um auch die Sanktionen für diese Verstöße mit E-Scootern – wie offenbar beabsichtigt – anzuheben.
2. Neufassung der Tabelle 1 im Anhang zu Nummer 11 der Anlage:
Leider doch keine Änderung bei Fahrverboten
Der DVR begrüßt die Anhebung der Sanktionen für Geschwindigkeitsübertretung durch den im April 2021 gefundenen politischen Kompromiss. Im Interesse der Verkehrssicherheit hätte der DVR jedoch ein früheres Greifen von Fahrverboten befürwortet, da diese im Gegensatz zu Bußgeldern von der Person am Steuer nicht einfach „eingepreist“ werden können und somit eine stärkere spezial- und generalpräventive Wirkung entfalten als ein reines Bußgeld.3 Demzufolge hätte die in der am 27. April 2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Fassung des Bußgeldkatalogs enthaltene Schwelle für Fahrverbote eine stärkere Wirkung im Sinne der Verkehrssicherheit entfaltet.
3. Beispiele für Tatbestände des Bußgeldkatalogs, die den Bedarf nach einer Gesamtreform aufzeigen
Beispielhaft seien die folgenden Tatbestände des Bußgeldkataloges erwähnt, die nunmehr „aus dem Rahmen fallen“ und den Reformbedarf der Sanktionen zur Wiederherstellung eines stimmigen Gesamtgefüges aufzeigen. Selbstverständlich bedarf auch die Höhe der Sanktionen in der Gesamtschau einer Überprüfung:
§ 5 Abs. 4 StVO/Nr. 23 Bußgeldkatalog (BKat): Wer den vorgeschriebenen seitlichen Überholabstand zu Radfahrenden (innerorts mind. 1,50 Meter, außerhalb mind. 2 Meter) nicht einhält, hat nach wie vor lediglich ein Verwarnungsgeld von 30 Euro zu erwarten. Hier sollte aufgrund der potenziellen Gefährlichkeit dieses Verstoßes für ungeschützte Radfahrende ein Bußgeld in deutlich höherem Bereich angesetzt werden. Zudem ist das Verhältnis zum Überholverbot durch das neue Zeichen 277.1 herzustellen (Nr. 19.1 BKat).
§ 14 Abs. 1 StVO/Nr. 64 BKat: Bei sogenannten „Dooring-Verstößen“, also der Gefährdung von Radfahrenden durch das plötzliche Aufreißen der Fahrzeugtüren, stehen nur 40 Euro Verwarngeld an. Hier wäre ebenfalls ein deutlich höheres Bußgeld angemessen, wie überhaupt alle Gefährdungen von Verkehrsteilnehmenden mit einem deutlich spürbaren Bußgeld geahndet werden sollten.
§ 23 Abs. 1a StVO/Nr. 246 BKat: Die Nutzung elektronischer Geräte wird für Kraftfahrzeugführende bislang lediglich mit 100 Euro Bußgeld bewehrt, obwohl es sich um einen vorsätzlich begangenen Verstoß handelt. Dieser Betrag sollte vervielfacht werden, um gegenüber dem fahrlässigen Verstoß gegen § 24a StVG wenigstens eine gleichwertige Ahndung zu erreichen.
1 Bericht der Ad-hoc Arbeitsgruppe Sanktionsniveau Verkehrsordnungswidrigkeiten zu Punkt 6.2 der Verkehrsministerkonferenz am 26./27. März 2020 (https://www.verkehrsministerkonferenz.de/VMK/DE/termine/sitzungen/20-03-26-27-vmk/20-03-26-27_punkt_6-2_bericht-ad-hoc-ag-sanktionsniveau.pdf?__blob=publicationFile&v=3).
2 Angenommen durch die Verkehrsministerkonferenz am 14./15. Oktober 2020 (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/StV/pakt-fuer-verkehrssicherheit-eckpunkte.pdf?__blob=publicationFile).
3 Vgl. dazu auch Empfehlungen des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstages (2018), Arbeitskreis VI zu Sanktionen bei Verkehrsverstößen: (https://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de/images/empfehlungen_pdf/empfehlungen_56_vgt.pdf).