Vorrang Fußverkehr

Parlamentarischer Abend von DVR und DVW

Wie werden Straßen sicher für zu Fuß Gehende? Wo liegen die Probleme? Wer ist bei der Lösung gefragt? Diese Aspekte standen im Mittelpunkt der Diskussion des Parlamentarischen Abends von Deutschem Verkehrssicherheitsrat (DVR) und Deutscher Verkehrswacht (DVW) in der „Alten Pumpe“ in Berlin. Rund 180 Gäste aus Politik – darunter viele Mitglieder des Bundestages sowie drei Staatssekretäre – aus Verbänden und Verkehrsorganisationen waren der Einladung gefolgt.

Fußverkehrsfreundliche Infrastruktur planen und umsetzen

In seiner Begrüßung betonte DVR-Präsident Prof. Dr. Walter Eichendorf, dass der Fußverkehr eine größere Lobby benötige. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) und Radfahrbegeisterte hätten vorgemacht, wie wirksam der Druck der Gesellschaft auf die Politik sei. Daran wolle man sich beim Thema Fußverkehr ein Beispiel nehmen. Als besonders wichtige Maßnahme hob er das Thema Infrastruktur hervor. Diese sei aktuell nicht für ungeschützte Verkehrsteilnehmende ausgelegt, so Eichendorf. Zudem müsse die Ampelschaltung an die Bedürfnisse des Fußverkehrs angepasst werden. Auch ältere Menschen müssten sicher die Straßen queren können.

Tempo 30 km/h innerorts gehört zur Verkehrssicherheit

Der stellvertretende Generaldirektor für Mobilität und Transport der Europäischen Kommission (DG MOVE), Matthew Baldwin, sagte, Menschen machten Fehler. Aber dafür dürften sie nicht mit dem Tod bestraft werden. Deshalb müsse man den Fokus in der Verkehrssicherheit nun stärker auf das Thema Fußverkehr legen – auch, weil die Gesellschaft immer städtischer werde. Entscheidende Ansätze seien in der Stadtplanung zu finden. Zudem müsse man mehr Daten über das „Wo“ und „Wie“ der Unfälle sowie ihre Vermeidung erheben. Auch das Thema Tempo gehöre in den „Sicherheitscocktail“. Es sei nachgewiesen, dass die Überlebenschance Gehender bei einem Zusammenprall mit einem Kraftfahrzeug bei Tempo 30 km/h bei etwa 90 Prozent, bei Tempo 60 km/h dagegen nur bei 10 Prozent läge. Dennoch zeigte er sich optimistisch. Städte wie Helsinki und Oslo bewiesen: Mobilität ohne getötete Gehende und Rad Fahrende ist möglich.

Fußverkehr ist Aufgabe der Kommunen und des Bundes

In ihrem Impulsvortrag stellte Dr. Viktoria Wesslowski, Beraterin für kommunale Fußverkehrsförderung, die Vorteile des Fußverkehrs dar und zeigte anhand von Unfallstatistiken, dass die Zahl der getöteten Fußgängerinnen und Fußgänger stagniere. Um mehr Sicherheit zu schaffen, sei es zentral Fußwegenetze von höherer Qualität zu schaffen. Durchgängige Netze ohne Barrieren oder Gefahrenstellen seien notwendig. Beim Kfz-Verkehr sei das selbstverständlich.

Um Tempo 30 km/h in Ortschaften käme man ebenfalls nicht herum. Sichtbarkeit von Gehenden sei ein weiterer Ansatzpunkt. Aktuell sei die Beleuchtung im Dunkeln sehr häufig auf die Straßen gerichtet, nicht aber auf zu Fuß Gehende. Damit diese Ziele erreicht werden können, sei eine Strategie nötig. Sie müsse Folgendes beinhalten: messbare Ziele, eine verantwortliche Person, eine Mängelanalyse, die Priorisierung von Maßnahmen, einen Zeitplan und ein Budget. Anders als häufig vermutet sei das Thema Fußverkehr nicht nur eines der Kommunen. Der Bund sei gefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, u.a. mit Förderprogrammen,der Forschungsförderung und der Stärkung der Kompetenzen von Kommunen.

Sicherer Fußverkehr: Bisherige Anstrengungen genügen nicht

Daran anschließend wurde im Fishbowl-Format weiter diskutiert. Unter der Moderation von Marco Seiffert tauschten Dr. Viktoria Wesslowski, Friedemann Goerl, Fußverkehrsverantwortlicher der Stadt Leipzig, Alois Rainer MdB, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Stefan Gelbhaar MdB, Obmann von Bündnis 90/Grüne im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags, ihre Argumente aus. Ergänzt wurde das Quartett durch Gäste aus dem Publikum, die Fragen stellten. Während Rainer betonte, dass man bereits auf einem guten Weg Richtung mehr Sicherheit für den Fußverkehr sei, betonte Gelbhaar, dass die bisherigen Anstrengungen nicht ausreichten. So richte sich die Novelle der Straßenverkehrsordnung nur an Rad Fahrende. Als Beispiel nannte er das Parkverbot in acht Meter Entfernung von Kreuzungen. Dieses gelte nur, wenn ein baulich abgetrennter Radweg angelegt sei.

Gesetzestexte fokussieren auf das Auto

Friedemann Goerl erläuterte, dass viele Gesetzestexte die Rolle des Autos betonten und kaum auf die Belange der Gehenden eingingen. Dieser Umstand erschwere es in der Praxis eine fußverkehrsfreundliche Infrastruktur zu gestalten.

Auf die Aussage Rainers, dass auch zu Fuß Gehende Verantwortung trügen und nicht bei Rot über Ampeln gehen sollten, antwortete Wesslowski, dass das Queren von Straßen bei Rot nicht die Hauptursache für die hohe Anzahl Getöteter sei. Zudem sei gerade die UN Dekade der Verkehrssicherheit zu Ende gegangen. Für Gehende habe sich in dieser Zeit nicht viel getan. Gelbhaar erklärte, dass Ampeln für den Autoverkehr erfunden wurden. Zudem seien Pkw Fahrende in den meisten Fällen Hauptverursacher von Unfällen mit getöteten zu Fuß Gehenden. Schuhe seien noch immer das unsicherste Verkehrsmittel.

Ampeln müssen gleichberechtigt sein

Roland Stimpel, Sprecher für den Verein FUSS e.V., sagte, dass er niemandem guten Gewissens empfehlen könne, bei Grün unbedacht über die Straße zu gehen. Immer wieder passierten dabei schwere Unfälle. Goerl forderte, dass es eine Leistungsfähigkeitsberechnung für Ampeln für Gehende geben müsse analog zu Ampeln für den Kfz-Verkehr. Hier bestünde ein Missverhältnis zwischen Ampeln, die den Autoverkehr und denen, die den Fußverkehr regelten. Auch Rainer erkannte an, dass Ampeln für den Fußverkehr nicht zwangsläufig fußverkehrsfreundlich seien. Da müsse man etwas tun.

Nahmobilitätszentren für Kommunen

Burkhard Stork, Geschäftsführer des ADFC, fragte, wann Referate und Abteilungen namentlich in „active mobility“-Bereiche statt separat für Fuß- und Radverkehr zusammengefasst würden. Gelbhaar befürchtete, dass man hier wenig vom Bund, dafür aber viel von den Kommunen zu erwarten habe. Beim Bund gebe es z. B. keinen Etat für den Fußverkehr. Wesslowski forderte die Kommunen auf Nahmobilitätszentren zu schaffen, auch, um die Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren.

Der Platz in Städten muss neu aufgeteilt werden

Kerstin Hurek, Leiterin Verkehrspolitik beim Auto Club Europa (ACE), fragte die Runde, wie man künftig mit dem Autoverkehr umgehen wolle. Schließlich müsse ein gleichberechtigtes Miteinander garantiert werden. Daraufhin konstatierte Goerl, dass der Platz nicht wachse und das bedeute, dass er anders verteilt werden müsse. Das Bedürfnis nach mehr Mobilität könne nicht mit mehr Autos abgebildet werden. Hier müssten Rad- und Fußverkehr gestärkt werden. Insbesondere, wenn Autos ruhten, nähmen sie Platz weg. Hier müsse man ansetzen.

In ihrem Fazit konstatierten alle, dass das Thema zwar in vielen Köpfen angekommen, dass Fußverkehr jedoch eine laute Stimme brauche. Es fehlten konkrete Handlungsansätze, Fußverkehr müsse in den Gesetzen verankert werden, er dürfe nicht „unter die Räder kommen“.

Fünf Punkte für einen sicheren Fußverkehr

Das Schlusswort hatte in diesem Jahr Prof. Kurt Bodewig, Bundesminister a.D. und Präsident der DVW. 458 Tote zu Fuß, vor allem Ältere – das sei ein Problem in einer älter werdenden Gesellschaft. Was zu tun sei, fasste er in fünf Punkten zusammen:

  1. Es gebe einen Mangel an Daten. Wie und wo Unfälle mit Fußgängern und Fußgängerinnen passierten, wisse man häufig nicht. Das sei aber entscheidend, um Unfälle künftig vermeiden zu können.
  2. Netzinfrastruktur müsse verbessert werden. Wege müssten besser geplant und auch ausgeleuchtet werden. Es sei eine Absurdität des Alltags, dass die Fahrbahn beleuchtet würde.
  3. Rahmensetzung: Notwendig in einem föderalen System sei ein funktionierender Rahmen, der den Verkehr sicherer mache. Die Zulassung der E-Scooter hätte ohne Technikfolgenabschätzung nicht erfolgen dürfen. Warum habe man die Auswirkungen nicht vor der Zulassung getestet? So etwas dürfe es nicht mehr geben.
  4. Europäisch denken, lokal handeln: Deutschland könne und müsse von anderen Ländern in der Verkehrssicherheitsarbeit lernen. Ziele müssten klar definiert werden und messbar sein, damit sie umsetzbar seien.
  5. Fußverkehr braucht eine neue, starke Lobby: Zu dieser könnten alle beitragen.