Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2019
Beschluss
Der demographische Wandel der Gesellschaft und die zunehmende Verkehrsbeteiligung älterer Menschen werden Auswirkungen auf die Verkehrssicherheitsarbeit haben. Die Ergebnisse der aktuellen Haushaltsbefragung zur Alltagsmobilität „Mobilität in Deutschland 2017“1 zeigen wesentliche Unterschiede im Mobilitäts- und Verkehrsverhalten zwischen den einzelnen Altersgruppen. Der DVR hat in einem Hintergrundpapier den gegenwärtigen Stand des Wissens bezüglich grundlegender Aspekte der Verkehrsteilnahme älterer Menschen zusammengefasst.2 Daraus werden Empfehlungen für die Verkehrssicherheitsarbeit für ältere Verkehrsteilnehmende bzw. mit ihnen abgeleitet.
Erläuterung
Definition von Älteren
Es gibt keine einheitliche Definition, ab wann eine Person als älterer Mensch gilt. Sehr oft wird das kalendarische Alter herangezogen. Allerdings verläuft der Alterungsprozess individuell sehr unterschiedlich, was durch starre Altersgrenzen nicht abgebildet wird. Für eine Diskussion über die Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Verkehr sind Facetten (biologisches Alter, psychologisches Alter, soziales Alter) des Alterns wichtig. Das kalendarische Alter ist jedoch nach wie vor wichtig, um möglichst praktikabel Zielgruppen für Maßnahmen zu definieren. Darüber hinaus sollten aber weitere Möglichkeiten der Zielgruppendefinition wie z.B. der Lebensstil in Betracht gezogen werden, um der Heterogenität des Alterungsprozesses gerecht zu werden.
Unfallbeteiligung von Älteren
Ältere profitieren bisher nicht von der allgemein positiven Entwicklung der Verkehrssicherheit. Der Anteil älterer Verkehrsteilnehmender an allen Verunglückten steigt stetig, während der Anteil der anderen Altersgruppen abnimmt. Aufgrund der höheren Verletzungsanfälligkeit ist der Anteil von Älteren, insbesondere in der Altersgruppe über 75 Jahre, bei den Getöteten und Schwerverletzten überproportional hoch. Ältere verunglücken überproportional häufig als ungeschützte Verkehrsteilnehmende, die zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Pedelec unterwegs sind. Ab einem Alter von 70 bis 75 Jahren steigt aber auch der Anteil der Unfälle, welche die kraftfahrenden Älteren selbst verursachen, stark an.
Verkehrsverhalten im Alter
In der Regel lässt die Verkehrsteilnahme im Alter nach. Die häufigste Fortbewegungsart bleibt bis ins hohe Alter das Zufußgehen. Durch die Verbreitung der Pedelecs gewinnt auch das Zweirad bei Älteren zunehmend an Bedeutung. Zudem wird in Zukunft auch der Pkw eine immer wichtigere Rolle für ältere Menschen spielen. Die ersten Ergebnisse der aktuellen Haushaltsbefragung zur Alltagsmobilität „Mobilität in Deutschland 2017“ zeigen eine steigende Auto-Orientierung von Älteren. Ein wesentlicher Grund ist der häufigere Führerscheinbesitz und die damit einhergehende Pkw-Nutzung durch ältere Frauen. Des Weiteren erreicht die erste Generation das höhere Alter, die erstmals seit dem frühen Erwachsenenalter automobil ist und diese Automobilität auch mit steigendem Lebensalter nicht missen möchte.
Leistungsfähigkeit im Alter
Mit zunehmendem Alter kommt es bei allen Menschen zu einer Abnahme der sensorischen, kognitiven und motorischen Fähigkeiten, insbesondere ab dem 75. Lebensjahr. Für sensorische Funktionen ist eine weitgehend lineare Abnahme mit dem Alter feststellbar. Kognitive Funktionen scheinen einer stufenweisen Abnahme zu unterliegen, die sich oft erst im höheren Alter ab ca. 75 Jahren bemerkbar macht. Das Ausmaß der Verschlechterung variiert jedoch beträchtlich zwischen verschiedenen Personen.
Kompensation altersbedingter Leistungseinbußen
Ältere Menschen kompensieren Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit im Straßenverkehr in verschiedener Art und Weise z.B. durch Anpassungen des Fahrverhaltens, Nutzung technischer Hilfsmittel etc.. Erste Studien zeigen, dass gezieltes Training die verkehrsrelevanten Fähigkeiten auch im Alter substanziell verbessern kann. Voraussetzung einer gelingenden Kompensation ist allerdings eine adäquate Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit.
Selbst- und Fremdwahrnehmung der eigenen Verkehrskompetenz
Mobilität spielt gerade im Alter eine zentrale Rolle für ein positives Selbstbild und die Lebenszufriedenheit. Allerdings werden die eigenen Fähigkeiten im Vergleich mit anderen Altersgruppen überschätzt und unterscheiden sich stark von Fremdeinschätzungen. Einem übermäßig positiven Selbstbild auf Seiten der Älteren steht ein überwiegend negatives gesellschaftliches Altersstereotyp gegenüber.
Ansprache älterer Verkehrsteilnehmer als Herausforderung
Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die richtige Ansprache für ältere Menschen als Verkehrsteilnehmende zu finden. Bisher werden Ältere noch sehr selten auf die Einschränkungen ihrer verkehrsrelevanten Fähigkeiten angesprochen. Besonders zwischen Bezugspersonen und den Älteren selbst bestehen oft Vorbehalte und Befürchtungen. Mit einer positiven Sicht auf das Altern geht einher, dass einerseits Bezugspersonen häufiger beobachtete Probleme bei den Fahrfähigkeiten ansprechen und andererseits, dass diese Hinweise von den Älteren auch besser angenommen werden. Von den Älteren werden am ehesten Rückmeldungen von als neutral wahrgenommenen Ansprechpersonen akzeptiert. Als geeigneter Zeitpunkt für die Ansprache bieten sich auch Lebensumbruchphasen an, wie z.B. der Eintritt in den Ruhestand, in denen der Alltag neu organisiert wird und auch Mobilitätsgewohnheiten hinterfragt werden.
Verkehrssicherheitsprogramme für ältere Verkehrsteilnehmende
Es gibt bereits eine Reihe von freiwilligen Verkehrssicherheitsprogrammen und -maßnahmen speziell für ältere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Diese werden aber in der Regel von besonders sicherheitsorientierten und bereits in hohem Maße selbstreflektierte Personen in Anspruch genommen.
Forschung zu älteren Verkehrsteilnehmern
Der überwiegende Teil der Erkenntnisse zur Veränderung der Leistungsfähigkeit im Alter, zur Kompensation altersbedingter Einbußen und zur Selbstregulation stammt aus Studien zu älteren Menschen als Pkw Fahrende. Untersuchungen zum Zweiradverhalten sind seltener. Das ändert sich gerade mit dem Aufkommen der Elektrofahrräder. Studien zum Fußverkehr gibt es kaum. Sie stellen oft die Anforderungen der Verkehrsinfrastruktur in den Mittelpunkt (z.B. Gehzeiten). Zudem mangelt es an Studien zur Wirksamkeit von Verkehrssicherheitsprogrammen und -maßnahmen für diese Altersgruppe.
gez.
Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident