Mehr Sicherheit in Arbeitsstellen kürzerer Dauer auf Autobahnen

Beschluss vom 27. Oktober 2016 auf der Basis einer Empfehlung des Vorstandsausschusses Verkehrstechnik

Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2016

Problemstellung

Arbeitsstellen kürzerer Dauer (AkD, nach RSA 95: Dauer nur über wenige Stunden) auf Autobahnen sind unverzichtbar zur Aufrechterhaltung einer betriebsbereiten und verkehrssicheren Straßeninfrastruktur. Die Anzahl der AkD auf bundesdeutschen Autobahnen ist enorm und wird auf mehr als 70.000 pro Jahr geschätzt1, 2. AkD werden durch den Betriebsdienst, Baufirmen oder von Fachunternehmen der Verkehrssicherung eingerichtet, die Dienstleistungen für die öffentliche Hand oder Instandsetzungs- oder Bauarbeiten vor allem auf dem Gebiet der Straßenausstattung ausführen (Fahrbahnmarkierung, Rückhaltesysteme, Verkehrszeichen, etc.). Grundsätzlich stellen AkD einen Eingriff in den Verkehrsablauf dar und können die Verkehrssicherheit beeinträchtigen.

Älteren Untersuchungen zufolge sind im Bereich von AkD um 40% erhöhte Unfallkostenraten gegenüber der freien Strecke zu verzeichnen3. In Wanderbaustellen ist die Gefährdung der Beschäftigten des Betriebsdienstes bzw. der Absicherungsunternehmen besonders groß, da hier einerseits keine stationäre Vorwarnung eingesetzt werden kann und andererseits die eingesetzten Sicherungsfahrzeuge mindestens durch eine Person besetzt sind, die jeweils zusätzlich ständig der Gefahr von Auffahrunfällen ausgesetzt ist.

Bei einer Analyse von rund 1.000 Unfallprotokollen aus den Jahren 1997 bis 2005 auf typische Unfallmuster4 zeigten sich im Wesentlichen fünf Erkenntnisse:

  • Etwa zwei Drittel der Unfälle werden von Lkw verursacht, fast immer zu etwa gleichen Anteilen auf dem Seitenstreifen und dem rechten Fahrstreifen.
  • Bei von Lkw verursachten Unfällen kommt es etwa gleich oft zum Aufprall von hinten wie zum seitlichen Anprall.
  • Fast zwei Drittel der Unfälle passierten in stationären Arbeitsstellen.
  • 75% der verunglückten Betriebsbediensteten befanden sich beim Anprall im Fahrzeug.
  • Hoher Anteil von HWS-Verletzungen („Schleudertrauma“)

Die Hauptunfallursachen sind bei Pkw nicht angepasste Geschwindigkeit und bei Lkw unzureichender Sicherheitsabstand. Der Anteil der durch Übermüdung verursachten Lkw-Unfälle wird auf 15-20% geschätzt.

Beschluss

AkD sind unvermeidbar und unverzichtbar. Neben der Verbesserung der Sicherheit für die Verkehrsteilnehmenden ist die Gefährdung des Baustellenpersonals zu minimieren. Der DVR schlägt daher folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in Arbeitsstellen kürzerer Dauer vor, die sich sowohl an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und die Länder als auch an die ausführenden Firmen und die Fahrzeughersteller wenden.

  • Allgemeine Verbesserung der Randbedingungen für AkD, z.B. durch
    • Reduzierung der Anzahl von AkD durch Bündelung der notwendigen Tätigkeiten und evtl. Verlagerung der AkD in verkehrsschwache Zeiten

    • Prüfung, ob im Einzelfall eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf weniger als 80 km/h erforderlich ist

    • Freigabe des Seitenstreifens statt Fahrstreifenreduktion

    • Bei Fahrstreifenreduktion sollte geprüft werden, ob zuerst der linke Fahrstreifen eingezogen werden kann

    • Erstellung und verbindliche Anwendung von Phasenplänen zum Auf- und Abbau der Verkehrssicherung

  • Verbesserung der Erkennbarkeit von Arbeitsstellen kürzerer Dauer, z.B. durch
    • Verwendung von Materialien mit hoher Reflexionseigenschaft, mindestens Retroreflexionsfolien der Klasse RA 2

    • Einsatz von LED-Vorwarntafeln mit weißen LED

    • Einsatz von Warnschwellen

    • Weiterentwicklung von ITS-Anwendungen und der Kommunikation zwischen Baustelleneinrichtung und Fahrzeugen auch über CB-Funk

  • Verbesserung der passiven Sicherheit der Absperrfahrzeuge, z.B. durch
    • Beschaffung von Lkw mit Sicherheitsausstattungen wie Gurtstraffer, Gurtanlegewarner, proaktive Kopfstützen, Airbags etc.

    • Verwendung von energieabsorbierenden verformbaren Anpralldämpfern am Fahrzeugheck (TMA) zur Reduzierung der Verletzungsschwere bei Insassen von auffahrenden Pkw

    • Weiterentwicklung von selbstfahrenden Absperrtafeln bzw. einer elektronischen (virtuellen) Deichsel, um einen großen Abstand zwischen Zugfahrzeug und Absperrtafel zu ermöglichen
       
  • Verbesserung der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Baustellenbereich, z.B. durch Geschwindigkeitsüberwachung

  • Vermehrter Einsatz von Warn- und Fahrassistenzsystemen bei Lkw, wie z.B. Müdigkeitswarner, Spurhalteassistent und adaptive Geschwindigkeitsregelung

  • Regelmäßige Schulung des Baustellenpersonals hinsichtlich Gefahrenwahrnehmung, Risikoeinschätzung und Sicherheitsbestimmungen

  • Vereinheitlichung der Vorgaben aus Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA) und der Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR)

Die Kombination dieser Maßnahmen kann in Zukunft dazu beitragen, dass auch in AkD ein hohes Maß an Verkehrssicherheit erreicht und die Arbeitssicherheit verbessert wird.

gez.
Dr. Walter Eichendorf
Präsident


1 Stöckert, R.: Auswirkungen von Arbeitsstellen kürzerer Dauer auf Autobahnen auf Sicherheit und Wirtschaftlichkeit des Verkehrsablaufs, Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 12, Nr. 457, VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf, 2001
2 Durth, W.; Stöckert, R.; Klotz, S.: Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Arbeitsstellen kürzerer Dauer, Schlussbericht, Darmstadt, 1999
3 Kockelke, W.; Rossbander, E.: Untersuchungen zum Geschwindigkeitsverhalten an Autobahnbaustellen, Straße und Autobahn, Heft 3/1989, S. 99-104
4 Verbesserung der Sicherheit des Betriebsdienstpersonals in Arbeitsstellen kürzerer Dauer auf Bundesautobahnen, Berichte der BASt, Verkehrstechnik Heft V 170, Bergisch Gladbach, Mai 2008