Bekämpfung von Baumunfällen auf Landstraßen

Beschluss vom 24. Mai 2016 auf der Basis einer Empfehlung des Vorstandsausschusses Verkehrstechnik

Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2016

Präambel

Straßenbepflanzungen sind bundesweit in vielen Landesteilen landschaftsprägend. Ihre Bedeutung für das Zusammenwirken von Natur und Kultur spiegelt sich in verschiedenen Gesetzen zum Naturschutz und zur Landschaftspflege wider. Damit wird u.a. gewährleistet, dass Eingriffe, die der Straßenbau verursacht, wieder ausgeglichen werden. Landschaftsgerechte Bepflanzung der Straßenseitenräume mit Bäumen und Sträuchern, Straßenraumgestaltung oder die Stabilisierung des Straßenkörpers sind Merkmale dieser Maßnahmen.

Hintergrund

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) verfolgt mit seiner Vision Zero das Ziel, die Anzahl und die Schwere der Unfälle deutlich abzusenken bis hin zu einem Straßenverkehr ohne Tote und Schwerverletzte.

Im Jahr 2014 starben 3377 Menschen im Straßenverkehr, davon 2019, also 60 Prozent, auf Landstraßen. Fast fünf von zehn Verkehrstoten auf Landstraßen (46 Prozent) starben bei einem Aufprall auf ein festes Hindernis neben der Fahrbahn, davon ereignete sich mehr als jeder zweite tödliche Aufprall auf einen Baum.

Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Abkommensunfall getötet zu werden, ist bei einem Aufprall auf einen Baum rund neunmal höher als bei einem hindernisfreien Seitenraum und rund 2,6 mal höher als bei einem Anprall auf eine Schutzplanke1.

Den Verkehrsteilnehmern ist das Risiko von Baumunfällen nicht bewusst. Dies zeigt beispielsweise eine bundesweite repräsentative Umfrage von DEKRA vom Februar 2013, wonach 72 Prozent von den Befragten „auf Landstraßen am meisten Angst“ vor Wildwechsel hatten, aber nur zehn Prozent vor Bäumen bzw. Alleen.

Tatsächlich ergibt sich folgendes Bild: Bei Wildunfällen kamen im Jahr 2014 „nur“ 18 Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer auf Landstraßen ums Leben, durch Baumunfälle auf Landstraßen 555. Besonders problematisch ist die Schwere der Baumunfälle. Deshalb besteht bei den Baumunfällen nach wie vor dringender Handlungsbedarf.

Der DVR hatte erstmals im Mai 2009 – auch vor dem Hintergrund des bereits damals auffälligen Anteils an Baumunfällen – den Vorstandsbeschluss „Bekämpfung der Baumunfälle im Straßenverkehr“ gefasst.

Anlass für die Neufassung des Beschlusses ist zum einen die immer noch hohe Anzahl der Getöteten bei Baumunfällen. Zur Erreichung des vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Verkehrssicherheitsprogramm 2011 formulierten 40 Prozent-Reduktionsziels aller im Straßenverkehr Getöteten muss deshalb der Bekämpfung der Baumunfälle ein besonderer Stellenwert zukommen.

Zum anderen waren die „Richtlinien für passive Schutzeinrichtungen an Straßen (RPS 2009)“ zum damaligen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht und sind erst mit Schreiben des BMVI im Dezember 2010 den Ländern zur Einführung empfohlen worden. Die RPS bilden in Verbindung mit den „Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit Aufprall auf Bäume (ESAB 2006)“ den Stand der Technik ab.

Bei der Anwendung beider Regelwerke geht es insbesondere um die Frage, bei welchen Abständen der Bäume gemessen vom Fahrbahnrand der Straße Schutzeinrichtungen einzubauen sind. Hintergrund der Diskussionen sind die Abwägungen zwischen der Frage der grundsätzlich höheren Verkehrssicherheit bei größerem Abstand von Hindernissen zum Fahrbahnrand und den Fragen des Baumschutzes, des Landschaftsverbrauchs und der Kosten für Straßenbaumaßnahmen.

Grundsätzlich sollten Straßenseitenräume von Hindernissen freigehalten werden. Nach RPS beträgt bei einer zulässigen Geschwindigkeit von Vzul = 80 km/h bis 100 km/h im ebenen Gelände der kritische Abstand mindestens 7,50 Meter. Dies bedeutet, dass Bäume, sofern sie näher als 7,50 Meter zum Fahrbahnrand stehen, bereits bei ihrer Anpflanzung mit Schutzeinrichtungen gesichert werden müssen. Dabei ist an Motorradstrecken und an unfallauffälligen Strecken mit Beteiligung von Motorradfahrenden zusätzlich ein Unterfahrschutz anzubringen.

Zur Identifikation von auffälligen Bereichen mit Baumunfällen im Bestand sind die ESAB heranzuziehen. Zur systematischen Erfassung aller Unfälle mit Abkommen von der Fahrbahn empfiehlt es sich, eine Sonderkarte anzulegen (Aufprall auf Bäume und sonstige Hindernisse, Abkommen ohne Aufprall). Können dennoch keine unfallauffälligen Bereiche identifiziert werden, sollten folgende modifizierte Filterkriterien zugrundegelegt werden:

  • Um unfallauffällige Bereiche handelt es sich, wenn sich in einem Zeitraum von fünf Jahren an einer Stelle mind. zwei Baumunfälle (nach ESAB mind. drei Baumunfälle) oder auf einem Streckenabschnitt (Unfallhäufungslinie) mind. drei Baumunfälle im Abstand von höchstens 1000 Metern zwischen jedem dieser Unfälle ereignet haben. Die Unfallschwere ist für die Festlegung des Kriteriums ohne Belang.
  • Sonstige auffällige Bereiche mit erhöhter Abkommenswahrscheinlichkeit liegen vor, wenn sich in einem Zeitraum von fünf Jahren (nach ESAB ein Jahr) innerhalb von 300 Metern mind. ein Baumunfall und drei oder mehr Fahrunfälle ereignet haben.

Quellen: Statistisches Bundesamt Deutschland, 2014
Bundesanstalt für Straßenwesen, 2015
DEKRA Verkehrssicherheitsreport, 2013
Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit Aufprall auf Bäume (ESAB), 2006
Richtlinien für passive Schutzeinrichtungen an Straßen (RPS), 2009
Merkblatt zur Verbesserung der Verkehrssicherheit auf Motorradstrecken – MVMot, 2007
Verkehrssicherheitskonzept Baden-Württemberg, 2013
Naturschutzgesetz Baden-Württemberg, 2015

Beschluss

Zur Bekämpfung der Baumunfälle empfiehlt der DVR im Einzelnen:

  • Vorzugsweise sind die Seitenräume von Landstraßen von allen Hindernissen frei zu halten. Dies gilt auch für die Anpflanzung von Bäumen.
  • Bäume dürfen gemäß den RPS nur außerhalb des kritischen Abstands zum Fahrbahnrand neu gepflanzt werden. Wird davon in begründeten Einzelfällen abgewichen, so sind sie bereits bei der Anpflanzung mit passiven Schutzeinrichtungen zu sichern.
  • Ist bei bestehenden Bäumen im kritischen Bereich ein auffälliges Unfallgeschehen festzustellen, sind passive Schutzeinrichtungen (bei Bedarf mit Unterfahrschutz) aufzustellen oder auch Bäume zu entfernen.
  • In Alleen unter 7,50 Metern Abstand zum Fahrbahnrand ohne passive Schutzeinrichtungen sollte die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf maximal 70 km/h begrenzt und entsprechend überwacht werden.

gez.
Dr. Walter Eichendorf
Präsident


1 Bundesanstalt für Straßenwesen (2015): Landstraßenunfälle mit Personenschaden im Jahr 2013 nach Unfallfolgen in Kombination mit Unfallart und Hindernis - Auswertung der amtlichen Straßenverkehrsunfallstatistik, Bergisch Gladbach.