Hochautomatisiertes Fahren

Beschluss vom 30. Oktober 2015 auf der Basis der Empfehlung des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik und unter nachfolgender Mitberatung des Juristischen Beirates sowie der Vorstandsausschüsse Erwachsene und Junge Kraftfahrer

Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2015

Erläuterung

Präambel

„Der DVR begrüßt die Entwicklung zum automatisierten Fahren, da er sich langfristig eine Verbesserung der Verkehrssicherheit erhofft.“ (DVR-Beschluss vom 23.05.2014)

Ausgangslage

Automatisierte Fahrfunktionen im Straßenverkehr werden Schritt für Schritt Realität. Viele heutige Fahrerassistenzsysteme erhöhen bereits nachweislich die Verkehrssicherheit. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) fördert deshalb die Weiterentwicklung und weitere Verbreitung von Fahrerassistenzsystemen. Parallel hierzu kann die Entwicklung des Automatisierungsgrades von Fahrfunktionen die Erhöhung der Verkehrssicherheit im Sinne der Vision Zero weiter fortführen.

Unter dieser Prämisse unterstützt und begleitet der DVR die Entwicklung automatisierter Fahrfunktionen, aufgrund derer sich eine Verbesserung der Verkehrssicherheit prognostizieren lässt.

Im Folgenden befasst sich das vorliegende Papier mit den Anforderungen an hochautomatisierte Fahrfunktionen, die gegenwärtig auf Autobahnfahrten fokussiert sind.

Forderungen hinsichtlich des hochautomatisierten Fahrens werden vom DVR zu einem Zeitpunkt formuliert, zu dem einerseits schon technische Entwicklungen zum automatisierten Fahren vollzogen sind, andererseits aber wenig Praxiserfahrungen vorliegen und viel Erfahrungsbedarf sowie begleitende Forschungsnotwendigkeit bestehen. Der DVR wird deshalb die Entwicklungen beobachten und je nach Erkenntnisstand zu den unterschiedlichen Aspekten der Automatisierung des Fahrens Stellung nehmen. Die folgenden Empfehlungen oder Anforderungen werden also in Zukunft ergänzt und vertieft werden.

Nachfolgend sind die Automatisierungsstufen im Überblick dargestellt.

Definition der Automatisierungsstufen

(Quelle: BASt 2015)

„Assistiertes Fahren als Vorstufe des automatisierten Fahrens:

Der Fahrer führt dauerhaft entweder die Quer- oder Längsführung aus. Die jeweils andere Teilaufgabe wird in gewissen Grenzen vom System ausgeführt. Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen und jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahrzeugführung bereit sein.

Automatisiertes Fahren:

  • teilautomatisierte Fahrfunktionen: Das System übernimmt sowohl die Quer- als auch die Längsführung des Fahrzeugs für einen gewissen Zeitraum oder in spezifischen Situationen. Der Fahrer muss das System nach wie vor dauerhaft überwachen und jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe bereit sein. (...)
  • hochautomatisierte Fahrfunktionen: Das System übernimmt die Quer- und Längsführung für einen gewissen Zeitraum oder in spezifischen Situationen. Der Fahrer muss das System nicht mehr dauerhaft überwachen. Er erhält eine ausreichende Zeitreserve, bevor er die Fahraufgabe selbst übernehmen muss. Das System warnt den Fahrer also vorher.
  • vollautomatisierte Fahrfunktionen: Das System übernimmt die Quer- und Längsführung vollständig in einem definierten Anwendungsfall. Der Fahrer muss das System nicht überwachen. Das System ist in allen Situationen in der Lage, einen risikominimalen Zustand herzustellen.
  • autonomes („fahrerloses“) Fahren als höchste Automatisierungsstufe: Das System übernimmt das Fahrzeug vollständig vom Start bis zum Ziel; alle im Fahrzeug befindlichen Personen sind in diesem Fall Passagiere.“

Beschluss

Der Vorstand des DVR nimmt wie folgt Stellung:

  1. Der DVR fordert, dass Fahrzeuge mit hochautomatisierten Fahrfunktionen im Vergleich zu heutigen Fahrzeugen ein höheres Sicherheitsniveau für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer dauerhaft erreichen.
  2. Deshalb bedarf es zur fortlaufenden Bewertung der Sicherheit von hochautomatisierten Fahrfunktionen geeigneter Prognose-, Evaluierungs-, Homologierungs- und Testverfahren, denen Risikobewertungen auf der Basis des realen Verkehrs- und Unfallgeschehens vorausgehen.
  3. Als Konsequenz des hochautomatisierten Fahrens ist der rechtliche Rahmen zeitnah zu überprüfen, insbesondere sind die Verantwortung und die Haftung während der Phase des hochautomatisierten Fahrens zu klären. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass fehlerhafte Aktionen/Reaktionen der hochautomatisierten Fahrfunktion nicht dem Fahrer/der Fahrerin angelastet werden dürfen.
  4. Der Fahrer/die Fahrerin muss während der Phase des hochautomatisierten Fahrens in der Lage sein, einer Übernahmeaufforderung zu folgen und die Fahraufgabe adäquat zu übernehmen und fortzuführen. Eine Fahreraktivität, die der Übernahmebereitschaft entgegensteht, muss vom Fahrzeug erkannt werden. Das Fahrzeug muss angemessen darauf reagieren, z.B. den Fahrer/die Fahrerin zur Übernahme auffordern. Wesentliche Kriterien insbesondere für die Übernahmebereitschaft sind allgemein zu definieren. Hierzu besteht Forschungsbedarf.
  5. Das Übernahmeszenario ist so zu definieren, dass es die gesamte Fahrerpopulation und übliche Verkehrssituationen berücksichtigt. Interaktionsschemata sind zu standardisieren. Es besteht Forschungsbedarf hinsichtlich der Auswirkungen auf Fahrende sowie der notwendigen Bedingungen für sie (z.B. hinsichtlich der Zeiten, die Fahraufgabe wieder übernehmen zu können). Falls der/die Fahrende trotz intensiver Systemaufforderung die Fahrzeugführung nicht wieder übernimmt, muss sich das Fahrzeug in einen risikominimalen Zustand im Sinne des §1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) überführen.
  6. Es besteht die Notwendigkeit der Dokumentation von zu definierenden Informationen (und der Klärung der Zugriffsrechte) für den hochautomatisierten Fahrmodus, u.a. zur Aufklärung von Unfällen.
  7. Die Aktivierung der hochautomatisierten Fahrfunktionen durch den Fahrer/die Fahrerin ist optional. Eine Übersteuerung der hochautomatisierten Fahrfunktionen durch die Fahrzeugführenden muss jederzeit möglich sein.
  8. Ein hochautomatisiert fahrendes Fahrzeug muss im bestehenden Verkehrsumfeld und in der bestehenden Infrastruktur fahren können.
  9. Die Qualität der Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen muss den Sichtbarkeitsgrundsätzen entsprechen.1Ist die Qualität der Erkennbarkeit nicht ausreichend, ist eine Übernahmeaufforderung zu geben.
  10. Es muss sichergestellt werden, dass hochautomatisiert fahrende Fahrzeuge jeweils die national unterschiedlichen Regelungen in den Ländern einhalten. Hochautomatisierte Fahrweisen müssen regelkonform sein und den Prinzipien der Rücksichtnahme und des vorausschauenden Fahrens entsprechen.
  11. Damit die Fahrzeugführer/innen und andere Verkehrsteilnehmer/innen die Systeme richtig verstehen und keine Erwartungen an deren Leistung haben, die diese nicht erbringen, muss mit der Einführung von hochautomatisierten Systemen eine wirksame Aufklärung über deren Funktionsweisen, u.a. auch durch die Hersteller, einhergehen. Der alleinige Verweis auf ein Handbuch ist nicht ausreichend. Irreführende Werbeaussagen müssen unterbleiben.
  12. Eine Überprüfung und Anpassung der Inhalte der Fahrlehreraus- und -fortbildung, Fahrausbildung und Fahrerlaubnisprüfung ist mit Blick auf hochautomatisiertes Fahren regelmäßig vorzunehmen.
  13. Datensicherheit und Datenschutz sind zu gewährleisten. Gegen Missbrauch und Manipulation sind wirksame Vorkehrungen zu treffen.
  14. Es muss gewährleistet sein, dass hochautomatisierte Systeme regelmäßig im Hinblick auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft werden. Dies muss auch im Rahmen der periodischen Fahrzeugüberwachung geschehen. Der Fahrer/die Fahrerin muss umgehend vom System informiert werden, wenn die Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist.
  15. Eine obligatorische Ausstattung aller Neu-Kraftfahrzeuge mit einem hochautomatisierten System ist gegenwärtig nicht veranlasst.

Gesellschaftlicher Diskurs

Es ist abzusehen, dass mit der Weiterentwicklung der automatisierten Fahrfunktionen hin zum autonomen Fahren die Fahrzeuge zunehmend Menschen und Objekte differenziert identifizieren können. Hier bedarf es einer gesellschaftlichen Debatte und einer nachfolgenden gesetzlichen Regelung, nach welchen grundlegenden Prinzipien die Fahrfunktionen dann gestaltet werden sollen.

Darüber hinaus sollten langfristige gesellschaftliche Folgen des automatisierten Fahrens, wie z.B. die Veränderung der Fahrkompetenz oder des gesamten Mobilitätsverhaltens, im Blick behalten werden.

gez.
Dr. Walter Eichendorf
Präsident


1 siehe hierzu auch: Technische Qualität vertikaler Verkehrszeichen; DVR-Beschluss vom 23. Mai 2014 auf der Basis der Vorstandsvorlage vom 24. März 2014 des Vorstandsausschusses Verkehrstechnik