Reform des Verkehrszentralregisters und des Punktesystems

Beschluss vom 19.04.2012 auf der Basis der Diskussion des Vorstandsausschusses Recht vom 08.03.2012

Deutscher Verkehrssicherheitsrat – 2012

Hintergrund

Der 47. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2009 veröffentlichte zu einer Neuregelung des Verkehrszentralregisters Empfehlungen („Probleme mit den Punkten“; vgl. Veröffentlichung der auf dem 47. Deutschen Verkehrsgerichtstag gehaltenen Referate und erarbeiteten Empfehlungen).

In der Folge beschloss der Deutsche Bundestag aufgrund des Antrages „Punkte-Systematik des Verkehrszentralregisters in Flensburg einfacher und verständlicher gestalten“ (Drs. 16/12993) der – die damalige Bundesregierung tragenden – Fraktionen von CDU/CSU und SPD, die Bundesregierung aufzufordern, eine Reform vorzunehmen, um eine bessere Verständlichkeit für die Bürger und eine Verwaltungsvereinfachung für die Behörden und Gerichte zu erreichen.

Die ab Herbst 2009 die Bundesregierung tragenden Parteien CDU, CSU und FDP legten ihren Reformwillen im Koalitionsvertrag nieder, um „eine einfachere, transparentere und verhältnismäßigere Regelung zu schaffen“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode).

Kurze Zeit später stellte die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag eine Kleine Anfrage zur „Vereinfachung der Punktesystematik des Verkehrszentralregisters in Flensburg“ (Drs. 17/289), die von der Bundesregierung am 04.01.2010 beantwortet wurde (Drs. 17/385). In der Antwort heißt es u.a.:
„Die Bundesregierung beabsichtigt die Reform des Punktsystems in dieser Legislaturperiode abzuschließen.“

Am 28.02.2012 legte der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in einer Pressekonferenz Eckpunkte für die Neuregelung des Punktesystems und des Verkehrszentralregisters vor. Diese dienen dem Ziel, mehr Verkehrssicherheit zu erreichen. Mit der Vorstellung der Eckpunkte solle eine breite fachliche und gesellschaftliche Diskussion eingeleitet werden, bevor im Anschluss daran ein konkreter Gesetzentwurf erarbeitet werde.

Erläuterungen

Eine Reform des Punktesystems kann nur ein Baustein in einem ganzen Bündel von Maßnahmen sein, um den Zielen des „Verkehrssicherheitspro-gramms 2011-2020“ der Bundesregierung näher zu kommen. Das Ziel, die Getöteten-Zahlen in Deutschland bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren und die Zahl der Schwer- und Schwerstverletzten deutlich zu senken, ist ansonsten nicht erreichbar. Weitere Maßnahmen wie die Verbesserung der Fahranfängervorbereitung müssen daher zeitnah folgen.

Die Notwendigkeit einer Reform der Punkteregelung ist unbestritten. Das Verkehrszentralregister mit seinem Punktesystem ist aufgrund immer komplizierterer Berechnungsvorschriften im Rahmen von „Tilgungshemmungen“, „Tattags- und Rechtskraftprinzip“ und „Überliegefristen“ für die Behörden und die Gerichte nur schwer zu handhaben und für die Betroffenen in hohem Maße intransparent und inakzeptabel.

Der Hauptzweck des Punktesystems besteht darin,

  • besonders auffällige Kraftfahrer zu identifizieren,
  • auf eine Verbesserung der Fahreignung hinzuwirken sowie
  • die Voraussetzungen zu schaffen, ungeeignete Kraftfahrer vom Straßenverkehr auszuschließen.

Die Kriterien

Der DVR begrüßt grundsätzlich eine Reform des Verkehrszentralregisters mit der Punkteregelung, wenn damit zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beigetragen wird.

Dieses Ziel wird aus Sicht des DVR erreicht,

  • wenn sich das neue „Fahreignungsregister“ und das neue „Fahreignungs-Bewertungssystem“ für den einzelnen Verkehrsteilnehmer als transparenter darstellen und damit eine größere Lernchance für den auffällig gewordenen Kraftfahrer ermöglicht wird,
  • wenn die Tilgungsfristen nicht verkürzt werden und es im Vergleich zum bisherigen System keine „Besserstellung“ für Mehrfachtäter gibt,
  • wenn die Regelverstöße, die im Falle eines Unfalls zu schweren Folgen führen können, mindestens so negativ bewertet werden wie bisher
  • wenn das neue System (mindestens) eine (obligatorische) Interventionsmaßnahme (Seminar für Punkteauffällige) enthält, bei deren jeweiliger Wahrnehmung die berechtigte Hoffnung einer Verhaltensbeeinflussung besteht und
  • wenn eine Durchforstung des Systems dahingehend erfolgt, dass künftig nur noch verkehrssicherheitsrelevante Tatbestände erfasst und bewertet werden.

Die dem DVR bisher vorliegenden Vorschläge (Stand: 29.03.2012) und die Gespräche mit dem BMVBS (zuletzt mit Herrn Abteilungsleiter Harting bei der Sitzung des Vorstands am 19.04.2012) deuten darauf hin, dass es mit dem neuen System gelingen könnte, auch unter Maßgabe des verfassungsmäßigen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, das angestrebte Ziel zu erreichen. Gleichwohl besteht im Detail noch Diskussionsbedarf.

Beschlüsse im Einzelnen

Bürger- und Verbändebeteiligung

Der DVR begrüßt, dass der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, MdB, die Vorschläge der Bundesregierung in den nächsten Monaten in einem umfassenden Prozess der Bürger- und Verbändebeteiligung diskutieren lassen will, um am Ende alle wichtigen Gesichtspunkte in eine Reform einfließen zu lassen. Eine von einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung getragene Reform wird von den Verkehrsteilnehmern sicherlich besser angenommen und dient damit der allgemeinen Regelakzeptanz. Darüber hinaus verspricht sich der DVR von diesem Prozess eine wichtige gesellschaftliche Diskussion über Fehlverhalten im Straßenverkehr.

Konzentration auf Verkehrssicherheit

Der DVR begrüßt, dass sich die vorgeschlagene Punkteregelung klar an der Verkehrssicherheitsrelevanz der jeweiligen Ordnungswidrigkeit/Straftat orientiert. Damit wird verdeutlicht, dass es sich um ein Bewertungs- und Maßnahmensystem handelt, das durch spezial- und generalpräventive Elemente allein der Verbesserung der Verkehrssicherheit dienen soll. Fraglich ist, wann sich eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat tatsächlich auf die Verkehrssicherheit auswirkt und eine Bewertung im künftigen Fahreignungsregister erfahren sollte. Entscheidend wird eine klare und im Interesse der Verkehrssicherheit nachvollziehbare Grenzziehung sein. Der DVR wird bei der Novellierung der entsprechenden Anlage zur Fahrerlaubnis-Verordnung genau darauf achten, dass nur noch verkehrssicherheitsrelevante Zuwiderhandlungen dem System unterfallen.

Entzug der Fahrerlaubnis bei 8 bzw. 9 Punkten

Der DVR begrüßt, dass das neue System die heutige Kategorisierung bzw. Punktbewertung von einem bis zu sieben Punkten für einzelne Zuwiderhandlungen auf eine geringere Punktzahl verkürzen soll, da im Gegenzug die entsprechenden Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nunmehr bei niedrigeren Punkteständen (z.B. Entzug der Fahrerlaubnis bei 8 statt bei 18 Punkten) einsetzen sollen und diese Umstellung der Klarheit und Transparenz dient. Für den Betroffenen wird es zukünftig einfacher sein zu erkennen, welche Zuwiderhandlungen mit welcher Punktzahl (1 oder 2 Punkte) bewertet sind und auf welche Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden er sich einstellen muss. Ein Teil des Vorstandes kann sich überdies vorstellen, für eine bestimmte Anzahl besonders schwerwiegender, die Verkehrssicherheit besonders gefährdender Verstöße die Eintragung von drei Punkten vorzusehen. Eine 3-Punkte-Differenzierung sei allerdings nur zu befürworten, wenn auch der „Rahmen“ auf 9 Punkte erhöht würde, also erst bei Erreichen von 9 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen würde.

Neue Fristen

Der DVR begrüßt die vorgesehene Verlängerung der Tilgungsfristen, da diese eine Kompensation dafür darstellt, die Vorschriften zur Hemmung und Überliegefrist ersatzlos zu streichen. Diese Streichung wird vom DVR für richtig gehalten. Ob man es bei den verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeiten bei einer Tilgungsfrist von „krummen“ 2 1/2 Jahren belassen sollte oder der Klarheit wegen 3 Jahre als Tilgungsfrist festlegen sollte, müsste aus Sicht des DVR noch geprüft werden.

Identifizierung von mehrfach auffälligen Kraftfahrern

Der DVR sieht es als zielführend an, dass das neue Bewertungssystem mit den bisher vorgeschlagenen Eckpunkten nach Angaben des BMVBS dazu führen wird, dass bei unveränderter Delikthäufung mit rund zehn Prozent (in absoluten Zahlen: 500 pro Jahr) mehr Entziehungen der Fahrerlaubnis nach Punkte-Regelung bei Punkt-Höchststand zu rechnen ist. Gleichzeitig würden aber ca. eine Million Verkehrsteilnehmer (von derzeit ca. 11 Millionen eingetragenen Personen im VZR einschließlich der Vorgänge in der Überliegefrist) nicht mehr vom System erfasst werden. Vorausgesetzt, dass diese Berechnungen stimmen, was der DVR mangels näherer Informationen nicht beurteilen kann, würde das neue Fahreignungsregister sein Ziel, besonders auffällige Kraftfahrer zu identifizieren, stärker verdeutlichen.

Bewertung mit Punkten im Vergleich

Der DVR begrüßt die Absicht des BMVBS, es bei den zukünftigen Be-wertungen mit Punkten zu keiner Besserstellung von Kraftfahrern kommen zu lassen, die besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Zuwiderhandlungen begangen haben.

Interventionsmöglichkeit

Der DVR hält die Abschaffung der Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar mit Punkterabatt für nicht sachgerecht.
Der DVR schlägt vor, bei einem zukünftigen Punktestand von 1-5 Punkten die freiwillige Teilnahme an einem Seminar mit verkehrspsychologischer Beratung vorzusehen. Bei einem darüber hinaus gehenden Punktestand befürwortet der DVR, ein neu konzipiertes Seminar für Mehrfachtäter als Interventionsmaßnahme vorzuschreiben, da er eine solche Maßnahme als ein wichtiges Modul im Rahmen des Ziels des künftigen Fahreignungsregisters bzw. Fahreignungs-Bewertungssystem sieht, verhaltensändernd zu wirken.

Übergangsregelungen

Der DVR begrüßt, dass das BMVBS bei Einführung des neuen Systems keine Amnestie für Verkehrsdelinquenten vorgesehen hat und bittet das BMVBS, praktikable und akzeptierte Übergangsregelungen anzuwenden. Ansonsten würde das Bemühen um Regelakzeptanz in der Bevölkerung konterkariert.

gez.
Dr. Walter Eichendorf
Präsident